Werner Rosenberger: Recht auf Boden - ein Menschenrecht

Atmen Sie gut durch, ruhig und gleichmäßig! Und wenn ich weiterspreche, atmen Sie weiter, vergessen Sie das nicht! Ich habe nämlich ein Verfahren entwickelt, mit dem ich Ihnen die Luft abschneiden kann. Sobald ich sage: "Halten Sie die Luft an!", tun Sie es. Erfahrungsgemäss ist es besser, dass die Lungenbläschen gefüllt sind, wenn die Luft verschwindet. Denken Sie ans Tauchen! Vor jedem Sprung ins Wasser atmen Sie tief ein. Übrigens, es macht nichts, wenn Sie einige Minuten ohne Luft sind. Von Badeunfällen ist bekannt, dass mann bis zu zehn Minuten ohne Luft sein kann.
Es ist hier alles vorbereitet. Wenn die Luft weg ist, können Sie sofort eine "Überlebensluftpackung", eine "ÜLLP" kaufen. Damit können Sie weiterleben, ganz wie bisher. Nur - eine ÜLLP kostet 20 Franken. Aber sie reicht auch eine ganze Woche. Allerdings ist es ein Vorteil, wenn Sie vorsorglich eine "Long-Live-Überlebens-Luftpackung", eine "LLÜLLP" kaufen. Sie kostet zur Zeit 50'000 Franken, und Sie sind versorgt bis an Ihr Lebensende. Ich empfehle Ihnen übrigens, eine dieser LLÜLLP zu kaufen: Eine glänzende Kapitalanlage, denn je stärker sich die Menschen auf dieser Erde vermehren, desto mehr Luft wird gebraucht. Luft wird zur idealen Anlage, wer viel davon hat, kann den Preis bestimmen und je mehr Luft zurückbehalten wird, desto rascher steigt der Luftpreis in phantastische Höhen!
Sollten Sie jedoch nicht über das nötige Kapital verfügen, müssen Sie sich nicht ängstigen, dass Sie demnächst ersticken werden. Sie können Luft auch mieten, etwa in Form einer Monates-ÜLLP. Die monatliche Luftmiete kann gleichzeitig mit der Wohnungsmiete entrichtet werden. Sie ist vorläufig noch günstiger als diese.
Recht auf Boden - ein Menschenrecht
Vielleicht Sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, bei dieser Einführung ins "Bodenproblem" nicht ganz mitgekommen. Dann ist es Ihnen ähnlich ergangen wie jenem Indianerhäuptling, dem die amerikanische Regierung seine Jagdgründe abkaufen wollte. Verständnislos stand er diesem Ansinnen gegenüber, nicht etwa weil er das Land nicht geben wollte, sondern er konnte nicht verstehen, dass man etwas verkaufen kann, das einem nicht gehört, das einem von Gott (oder den Göttern) zur Nutzung gegeben wurde. Der Mensch kann ohne die Elemente Boden, Luft, Licht, Wasser nicht leben. Jeder hat durch sein blosses Dasein ein Recht auf sie.
Wenn jemand ein Verfahren entdecken würde, um die Luft, wie in dem Verfahren geschildert, einzufangen, zu verkaufen oder zu vermieten, so würde ein Aufschrei der Empörung durch die Menschheit gehen. Niemand könnte die Ungerechtigkeit verstehen, die in der Möglichkeit bestünde, dass die einen diese Luft besitzen, mit ihr spekulieren und das grosse Geld machen könnten, während die andern, die "Luft-Habenichtse", dafür arbeiten müssten, um atmen zu können. Eine solche Situation besteht jedoch bei unserem Boden, wenn auch der Nichtbesitz von Boden nicht sofort zum Ersticken führt. In den Grundgesetzen und Verfassungen der meisten Staaten ist das Privateigentum an Boden gewährleistet. Ein Glück, dass Luft ein flüchtiges, nicht fassbares oder irgendwie eingrenzbares Medium ist, anders als der Boden.
Erde: das Erbe der gesamten Menschheit
Die Menschheit als ganzes hat für den Boden, den sie nutzt, nie etwas bezahlt - an wen auch? Erstaunlich ist nur, dass dieser Vorteil nicht jedem Menschen - anteilmässig - zusteht, dass also für den, der gerade soviel Boden nutzt wie alle anderen Zeitgenossen, diese Nutzung ebenfalls kostenlos ist!
Jeder Bodenbesitz leitet sich von einer früheren Landnahme her, für die nichts bezahlt wurde. Auf diese Weise wurde die Erde besetzt und verteilt. Die Nachfolger jener Besetzer sind die Besitzer bzw. Eigentümer. Ihnen gehört die Erde. Für ein Kind, das erst heute zur Welt kommt, heisst das: "Zu spät, alles vergeben!" Bleiben darf es zwar, aber nur weil die Eltern bezahlen. Die bestehende Bodenverteilung beruht vorerst auf Eroberung und Besetzung, dann auf Vererbung und Grundstückshandel. Wie lange wollen wir bei dieser zweifelhaften Vergangenheit zulassen, dass das gegenwärtig mit jedem Menschen neu entstehende Recht auf gleiche Teilhabe an der Erde und ihren Gütern immer wieder an den bestehenden Verhältnissen zerbricht?
Bei diesem Text handelt es sich um den Beginn der Broschüre "Boden nutzen statt besitzen. Plädoyer für ein nachkapitalistisches Bodenrecht" von Werner Rosenberger, herausgegeben von der Internationalen Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung, Aarau 1997. Copyright: INWO Schweiz