Wenn Wohnen ein öffentliches Gut und kein Geschäft ist

Es ist schon irritierend, mit welcher Gelassenheit Protagonisten aller im Bundestag vertretenen Parteien bedauern, dass es kein probates Mittel gegen die dramatisch angestiegenen Mietkosten gäbe. Dabei gehen die Mietsteigerungen im Mietwohnungsbestand maßgeblich auf die spekulative Bodenpreisentwicklung zurück. Ein Faktor, der politisch sehr einfach zu korrigieren wäre.

Es gibt weltweit nur wenige Großstädter, in denen der Bodenbesitz nicht missbraucht wird, um den Großteil der Bevölkerung skrupellos auszurauben. Nur wenige Kommunen wehren sich bis heute wie das kleine gallische Dorf von Asterix und Obelix erfolgreich gegen die Ausplünderung und die hemmungslose Privatisierung dieser elementaren Naturressource. Selten sind Berichte über die ökonomischen und politischen Hintergründe dieses Skandals, wie der Beitrag »Darum sind die Mieten in Wien noch so günstig« im SPIEGEL.

Wohnen ist für immer Mehr Menschen kaum noch bezahlbar
»Wohnen ist in vielen europäischen Großstädten oft kaum noch bezahlbar – nicht so in Wien. Knapp die Hälfte der Menschen lebt dort in kommunalen und gemeinnützigen Wohnungen«, berichtet Jan Petter aus Wien. Der Wert des Bodens einer Stadt steigt mit der erfolgreichen Entwicklung des Gemeinwesens stetig an. Diese Wertentwicklung kann man der privaten Bereicherung der besitzenden Klasse überlassen. Der Preis dafür ist dabei, dass alle in der Stadt lebenden und arbeitenden Menschen auf alle Zeit einen Großteil ihrer Kaufkraft an die Grundbesitzer abtreten müssen. Es liegt in der Natur der Sache: der private Bodenbesitz macht Reiche reicher und Arme zahlreicher.

Nur wenn sich ein Gemeinwesen dieser Logik grundsätzlich widersetzt, gelingt es, die Scherenentwicklung zwischen Armut und Reichtum zu verringern. In Wien gelang es, einen Großteil des Bodens und der Wohnimmobilien in der Hand der Wiener Bevölkerung zu belassen. »Unter dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Jakob Reumann wurde bezahlbares Wohnen ab 1920 zu einer Kernaufgabe der Stadt – und ist es bis heute geblieben.« Die Bürgerschaft widerstand seither allen Versuchen, den Boden an nationale oder internationale Kriegsgewinnler und andere „Heuschrecken“ zu veräußern. Stattdessen »begann die Stadt in den Krisen der Zwanzigerjahre günstig viel Land zu kaufen – das noch immer genutzt wird«, weiß Jan Petter zu berichten.

Deutschland verkauft sich an die Finanzinvestoren
Nicht so in Deutschland. Als zur Jahrtausendwende die Kapitalmarktzinssätze weltweit zu sinken begannen, schichteten Großinvestoren parallel immer mehr Kapital aus den Finanzmärkten in Boden Assets um. Völlig unberührt von politischen Mehrheiten konnten Parlamente und Rathäuser beinahe widerstandslos überzeugt werden, öffentliche Immobilien an Privatinvestoren zu verscherbeln. Seither steigen die Renditen der Investoren gigantisch. Parallel dazu steigen die Mieten unabhängig davon ob und wie viel in die Wohnungen investiert wird. Über die diversen Sozialleistungen fließt das Geld an die Investoren zurück, das ursprünglich als Verkaufspreis der Öffentlichkeit zugute kommen sollte.

Die Maßnahmen gegen die Preissteigerungen sind landauf landab wirkungslos. In Berlin beispielsweise arbeitet sich ein rot-rot-Grünes Bündnis an Mietpreisbremsen und Mietendecken ab, die viel Aufwand erfordert aber keinen Spekulanten ökonomisch schmerzen. Von den Verantwortlichen in allen Parteien hört man zu diesen und ähnlichen Maßnahmen derweil erschütternd naive bis regelrecht zynische Erklärungen. Man rechtfertigt die eigene Tatenlosigkeit, entschuldigt die eigene Machtlosigkeit oder begründet die ökonomische Notwendigkeit permanent steigender Bodenpreise.

Wohneigentum muss kein privates Geschäft sein
Sätze wie der folgende aus dem SPIEGEL-Beitrag wirken wie ein Schlag ins Gesicht der gleichgültigen oder gleichgeschalteten Meinungsmacher in dieser Republik: »Dass es auch heute noch helfen kann, wenn Wohnen ein öffentliches Gut und kein Geschäft ist, das ist die erste, vielleicht offensichtlichste Lehre aus Wien.«

Diese Erkenntnis ist deutlich mehr als hundert Jahre alt. Auf Parteitagen, bei Programmklausuren und in Koalitionsverhandlungen könnte man sich durchaus darauf beziehen. Insbesondere die SPD könnte sich auf ihre ursprüngliche Verantwortung besinnen, wie das in Wien geschieht: »Noch immer erinnern große Tafeln daran, wo die Stadt für ihre Bewohner gebaut hat. Die Schilder sind vielleicht die geschickteste Werbung für sozialdemokratische Politik überhaupt. Mit ihnen zeigt die Stadt seit hundert Jahren, was sie geleistet hat – und wer in dieser Zeit regierte.« Ganz anders dagegen agiert die deutsche Sozialdemokratie.

Zur Jahrtausendwende hat die SPD im ganz großen Stil dazu beigetragen, kommunale Immobilien an private Investoren zu verscherbeln. Aus dem Altersheim mahnte der 93-jährige ehemalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel seine Partei, endlich das Ruder umzuwerfen und sich gegen die Bodenspekulation zu wenden. Bisher völlig vergeblich.

Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz 
Das Vorbild von Wien ist einfach und marktwirtschaftlich. »Zusätzlich zu den Gemeindebauten gibt es in der österreichischen Hauptstadt ähnlich viele Wohnhäuser, die von Genossenschaften und gemeinnützigen Unternehmen errichtet wurden. (..) Ziel der Miete ist es hier nur, die Baukosten wieder einzunehmen und die Instandhaltung zu ermöglichen. So will es das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz.« Ganz anders sind die Prioritäten in deutschen Städten.

Profit statt Gemeinwohl
Für CDU, FDP und SPD steht seit Jahrzehnten im Vordergrund, dass Investoren möglichst hohe Gewinne realisieren können. Bis heute wird der städtische Boden Spekulanten für Millionen-Deals überlassen. Vorkaufsrechte, Enteignungen oder, noch viel einfacher, die Abschöpfung der Bodenrente über die Steuer, werden nicht einmal ernsthaft diskutiert. Die Meinungshoheit der Besitzstandwahrer wird nicht angetastet. Leider haben sich auch LINKE und GRÜNEN der Tabuisierung ernsthafter Lösungsansätze unterworfen. Dies ist der Preis dafür, von den Mainstream-Medien als ernsthafte Gesprächspartner akzeptiert zu werden.

Das Primat des Kapitals hinterfragen 
Umso erfreulicher ist es, dass DER SPIEGEL, der bei Geld- und Bodenthemen gewöhnlich die reine Lehre des Neoliberalismus propagiert, diesen aufschlussreichen Beitrag zugelassen hat. Das Primat des Kapitals infrage zu stellen, wird in den deutschen Leitmedien wie der Süddeutschen Zeitung, der Zeit, oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wenn überhaupt, nur dem Feuilleton zugestanden, oder wie hier eben im Auslands Ressort geduldet. Sein Fazit und die dazugehörige Berichterstattung sind für den Fortbestand unserer bürgerlichen Demokratie und für die Chance auf eine friedliche, gerechte und für alle lebenswerte Gesellschaft elementar. Allen aufrechten Politikerinnen und Politiker sollte dies eine immer gültige Mahnung sein, »dass es auch heute noch helfen kann, wenn Wohnen ein öffentliches Gut und kein Geschäft ist, das ist die erste, vielleicht offensichtlichste Lehre aus Wien.«

Lesen Sie hierzu auch: »Mauer des Schweigens«, »Hand in Hand: SPD und Haus & Grund« und »Grundsteuer: Zeitgemäß!«


Klaus Willemsen, 16.06.2022

Verwendete Quellen:

www.spiegel.de/ausland/bezahlbares-wohnen-wie-wien-zum-groessten-vermieter-europas-wurde-a-7b980817-c992-450f-8263-8372ccbb5dba

www.inwo.de/medienkommentare/mauer-des-schweigens/

www.inwo.de/medienkommentare/hand-in-hand-spd-und-haus-grund/

www.grundsteuerreform.net