Können Inflationsraten durch gleich hohe Lohn anpassungen ausgeglichen werden? Wenn im Laufe eines Jahres das allgemeine Preisniveau um drei Prozent gestiegen ist und die Löhne bei den näch- sten Tarifverhandlungen um den gleichen Satz angehoben werden, dann scheint die Welt – wenn auch mit Verspätung – wieder in Ordnung zu sein. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn alle Lohnbezieher mit einer solchen dreiprozentigen Einkommens-Anhebung zufrieden sind. Fordern jedoch auch die Geldkapitalbesitzer für ihre Vermögensbestände einen dreiprozentigen Inflationsausgleich durch eine Anhebung der Zinssätze um drei Prozent (richtiger: um drei Prozentpunkte), dann stimmt die Rechnung nicht mehr. Denn ein Zinssatzanstieg von beispielsweise sechs auf neun Prozent lässt die Zinseinkommen nicht um drei, sondern um 50 Prozent ansteigen! Das heißt aber auch, dass nicht nur die Zinseinnahmen eines Geldbesitzers, der 100.000 Euro verleiht, von 6.000 auf 9.000 Euro ansteigen, sondern auch die Zinsbelastung eines Normal verbrauchers, der eine Hypothek von 100.000 Euro zu bedienen hat.
Liegt dessen Jahreslohn z. B. bei 30.000 Euro, dann schlägt eine dreiprozentige Inflationsanpassung des Lohnes jedoch nur mit einem Plus von 900 Euro zu Buche. Das heißt, die Lohnerhöhung reicht noch nicht einmal aus, um ein Drittel der erhöhten Zinsbelastung aus der Hypothek auszugleichen! – In Höhe der sich daraus ergebenden Differenz von 2.100 Euro wird der Lohnempfänger also durch den Inflationsschub ärmer.
Dieser Lastanstiegs-Effekt durch Inflationsanstiege trifft aber nicht nur auf unsere verschuldeten Privathaushalte zu, sondern auch auf jede Volkswirtschaft, in der die gesamten Schulden bei einem Mehrfachen der Wirtschaftsleistung liegen. Das aber ist in fast allen Staaten bereits seit Jahrzehnten der Fall, in Deutschland z. B. um mehr als das Dreifache! Und da sowohl alle verschuldeten Unternehmen als auch Staaten letztlich immer gezwungen sind, die inflationsbedingt gestiegenen Zinsbelastungen, direkt oder indirekt, über Preise, Steuern und Gebühren an die Endverbraucher weiter zu wälzen, gilt dieses Problem auch für unverschuldete Privathaushalte.
Denn deren Lohnanpassungen gleichen die gestiegenen Belastungen durch die Inflation niemals aus, und zwar in dem Maße, wie die gesamte Geldvermögens- und Schuldenmasse die Lohneinkommen übersteigt! Die Folgen solcher inflationsbedingten Kostenüberwälzungen werden besonders bei den Wohnungsmieten deutlich, die zu rund drei Vierteln aus Zinsbedienungen resultieren.
Denn nach einer Faustregel erhöhen sich die Mieten um zehn bis vierzehn Prozent, wenn die Hypothekenzinsen um ein Prozent ansteigen. Das zeigen auch die Berechnungsbeispiele in der Tabelle.
Aus diesen Berechnungsbeispielen geht umgekehrt aber auch hervor, in welchem Umfang die Mieter und mit ihnen die Gesamtgesellschaft von Zinssenkungen profitieren würden. Schon die Halbierung der Zinssätze von 6 auf 3 Prozent würde bei der hier herangezogenen Wohnung von 50 qm eine rechnerische Einsparung von 250 Euro im Monat ergeben, was, bezogen auf die Kaltmiete von 650 Euro, einer Mietsenkung von rund 38 Prozent entspricht!
Der explosive Anstieg der Zinskosten in Inflationszeiten ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass sich einmal angelaufene Inflationsentwicklungen so schwer abbremsen lassen. Denn da die meisten Notenbanken dem inflationsbedingten Umverteilungsdruck und der erhöhten Geldnachfrage durch Geldmengenausweitungen nachgeben, führen die gestiegenen Zinskostenanteile in den Preisen zu erneuten Preisauftrieben. Dabei werden die Größenordnungen dieser inflationsbedingten Zinslastanstiege aufgrund der wachsenden Verschuldungen immer atemberaubender. So stiegen beispielsweise in der Inflations- und Hochzinsphase 1988 – 1992 die Zinserträge der Banken in vier Jahren von 243 auf 445 Mrd. DM an, also um rund 83 Prozent. Die Zinsauf wendungen der Banken, also die Ausschüttungen an die Geldgeber, stiegen sogar von 171 auf 344 Mrd. DM an und damit um 101 Prozent! Man stelle sich einmal vor, die gesamten Einkommensteuern oder Gesundheitsausgaben – Posten, deren Größen 1988 in Deutschland mit den Bankzinserträgen vergleichbar waren – wären in vier Jahren auf das Doppelte angestiegen: Die Größe der Schlagzeilen in allen Medien wären kaum vorstellbar gewesen! Die Explosionen der Zinsbelastungen und -einkünfte in dreistelligen Milliardenhöhen wurden dagegen kaum zur Kenntnis genommen!
Helmut Creutz (1923 – 2017)
Dieser Beitrag erschien in der FAIRCONOMY 1/2022