Herr Vogel, Ihr neues Büchlein trägt den Titel „Mehr Gerechtigkeit!“. Es geht dabei um Grund und Boden. Was ist beim Boden ungerecht?
Grund und Boden ist unvermehrbar und unverzichtbar. Dennoch ist er wie eine beliebig vermehrbare Ware den Marktregeln unterstellt. Dies gilt auch für die wohnungsrelevanten Grundstücke und Gebäude. Daraus hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine ständige Steigerung der Baulandpreise und aus diesen die Zunahme der unbezahlbaren Wohnungen und das Anschwellen eines leistungslosen Bodengewinnes, der inzwischen die Billionengrenze überschritten hat, ergeben.
Sie leben in München, der unangefochten teuersten Stadt Deutschlands. Was macht München denn so teuer?
Hier ist der Bodenpreis seit 1950 um 39.400 Prozent gestiegen. Dies vor allem, weil die Bevölkerung in dieser Zeit kontinuierlich zugenommen hat und sich München zu einer sogenannten „Boom-Stadt“ entwickelte.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, damit Wohnen wieder bezahlbar wird?
Ich mache dazu in meinem Buch mehrere Vorschläge. Der Hauptvorschlag geht dahin, dass die Gemeinden ihren Anteil an wohnungsrelevanten Grundstücken und Gebäuden kontinuierlich auf mindestens 30 Prozent ausdehnen sollen. Damit würde ein angemessener Bodenanteil aus dem Bereich der Marktregeln in den Bereich der Regeln des sozialen Allgemeinwohls überführt. Die Gemeinden sollten in diesem Bereich Mieten anbieten, die 30 Prozent der Einkommen nicht übersteigen. Auch sollten sie einmal erworbene Grundstücke nur noch im Wege des Erbbaurechts weitergeben.
Sie heben in Ihrem Buch die Ungerechtigkeit leistungsloser Bodengewinne hervor. Müsste man hier nicht vor allem mit der Grundsteuer ansetzen?
Die Grundsteuer reicht dafür nicht aus. Es bedarf der von mir vorgeschlagenen Korrekturen des Einkommensteuerrechtes. Und es bedarf der Einführung eines Planungswertausgleiches. Es ist nämlich in grober Weise ungerecht, dass zwar der Eigentümer für die Enteignung seines Grundstücks oder für eine Verringerung seines Baurechts eine Entschädigung erhält, umgekehrt aber der Bodengewinn, der durch die Verleihung des Baurechtes entsteht, bei dem Eigentümer verbleibt.
„Die bodenreformerischen Fragen sind nach meiner Überzeugung Fragen der höchsten Sittlichkeit. Es nützt Ihnen alles nichts, was Sie sonst machen, im Schulwesen, mit Kultur (…), die ganze Volksbildung, alles das nützt Ihnen nichts, wenn Sie nicht das Übel an der Wurzel fassen.“
Konrad Adenauer, Oberbürgermeister von Köln, 1920
Sie schließen mit einem Adenauer-Zitat: Die bodenreformerischen Fragen seien Fragen der „höchsten Sittlichkeit“. Sie haben sich in der SPD schon vor 50 Jahren für Reformen der Bodenordnung stark gemacht. Doch müsste man hier heute nicht zu einer überparteilichen Einsicht kommen?
Ja. Das ist dringend notwendig. Deshalb habe ich auch ein Zitat von Willy Brandt aus dem Jahre 1974 angeführt, in dem er gerade dies fordert. Das Zitat lautet:
„Es wäre gut, wenn unser Parlament über Parteigrenzen hinweg von Zeit zu Zeit die Courage zur einmütigen Feststellung über gemeinsame Erfolge, aber auch über gemeinsame Versäumnisse deutscher Politik fände. So mit Notwendigkeit beim Bodenrecht. Denn es gibt keinen Zweifel, dass hier eine der fundamentalen Reformen zur Erleichterung und Humanisierung unseres Zusammenlebens lange überständig ist.“
Willy Brandt, 1974
Das Interview führte Beate Bockting.
Zur Buchpräsentation kam Hans-Jochen Vogel am 20.11.2019 in den "Salon im Café Luitpold" in München. Die Veranstaltung, an der auch der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter und Prof. Dr. Dirk Löhr mitwirkten, wurde aufgezeichnet und ist hier abrufbar: VIDEO