• DE
  • EN

Birger P. Priddat: Banken, Finanzmärkte und Ordnungen

Vortrag von Prof. Dr. Birger P. Priddat, gehalten auf dem GLS-Geldgipfel 2014

1. Über die Banken ist inzwischen fast alles gesagt. Allerdings so unsortiert, daß alle Positionen legitimierbar scheinen: die der Regulation des Finanzmarktes wie die des fortdauernden Laisser-Faire. Versuchen wir einen anderen Ansatz, um neues Licht auf die Sache zu werfen.

2. Die Frage, wie der Staat das Bankensystem behandeln soll, ist offen. Ich schlage eine Argumentation vor, die den Handlungsspielraum des Staates ausleuchtet. Das Gespür für den Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Interessen ist verloren gegangen (vgl. Hellwig 2008). Der Staat, um eine Grundlage zu schaffen, ist, als demokratischer Rechtsstaat, die einzige Instanz, die für die Wohlfahrt aller Gesellschaftsmitglieder zuständig ist. D.h. der Staat ist von dieser Aufgabe her berechtigt, zu prüfen, ob die Märkte diese Aufgabe aus sich heraus erfüllen. Andernfalls greift er ein. Sagen wir es so: Sein Eingreifen ist dann erlaubt bzw. notwendig, wenn die Märkte die ihnen zugebilligte Aufgabe der effizienten Allokation aus sich heraus nicht erfüllen. Das wird spätestens dann ersichtlich, wenn er das Bankensystem stützen muß, weil es sich selber nicht mehr stützen kann.

3. Das, was Hegel mit der Ökonomie seiner Zeit verbindet, ist das Instistieren auf die Freiheit. „Hegel definiert die Geschichte als Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ (Gabriel 2014: 63). Das gilt auch, darf ich vorschlagen, heute.

4. Das, was der Liberalismus der damaligen Ökonomie aufnimmt, formuliert Kant sicherheitshalber als ‚Recht’: „Recht als das Management des Umstandes, dass meine Freiheit dort aufhört, wo die Freiheit des anderen anfängt“ (Gabriel 2014: 63).

5. Der ökonomische Liberalismus formiert diesen Gedanken als Eigentumsfreiheit. Doch auch diese muß – kantisch – reguliert bleiben. John Stuart Mill, der Ökonom und Protagonist der Freiheit des 19. Jahrhunderts, weiß das (Priddat 2002).

6. Die regulative Idee des kantischen Freiheitsmanagements des Rechts bleibt, als Instanz, beim Staat. Hier reibt sich der ökonomische Liberalismus, weil er dem Staat unterstellt, die Freiheit zu begrenzen.

7. Aber genau das ist Kants (und John Stuart Mills) Anspruch. Ökonomisch ist das am Ende des 19. Jahrhunderts als Pareto‐Prinzip in die Ökonomie eingegangen:

Jeder ist frei, ökonomisch zu handeln, außer er begrenzt die Handlungsfähigkeit anderer.

Pareto reformuliert hier nur Mill (und Kant, ohne es zu wissen). Die Handlungsfähigkeit anderer nicht zu begrenzen, liegt nicht in der Tugend der Handelnden, sondern in einer dritten Instanz: dem Staat und dem Recht (third party enforcer: Barzel 2002).

8. Beide reformulieren wiederum nur den römisch‐rechtlichen Grundsatz: neminem laedere (schade niemanden). Das bedeutet: Handle frei, aber schade darin niemanden. Indem du die Freiheit anderer durch Nutzung deiner Freiheit begrenzt, bist du nicht mehr frei, sondern Regelungen zu unterwerfen, die den Sinn haben, die Freiheit aller gegen die einzelner zu bewahren.

9. Das Theorem ist fundamental, d.h. durch keinen anderen Satz zu überbieten, weil es die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit definiert. Frei ist jeder nur in dem Maße, wie er das, was er an Freiheit in Anspruch nimmt, anderen genauso zubilligt. Da das aber niemand – tugendhaft – alleine regeln kann, muß es eine Ordnung/Regeln geben.

10. Die Basis der ökonomischen Marktfreiheit (natural liberty von Adam Smith) ist letztendlich eine Regulation durch die Institution des Rechts. Das Recht ist nicht identisch mit dem Staat (nach Montesquieus Gewaltenteilung). Auch der Staat muß rechtlich handeln.

11. Aber das Recht greift in Märkte ein, wenn sie ihre Freiheit ausnutzen gegen andere. Das ist bei Transaktionen/Verträgen im Betrugsfall sofort evident. Das gilt aber auch für den Staat.

12. Der Staat produziert öffentliche Güter, finanziert über Zwangsabgaben/Steuern (heute über Schulden). Die öffentlichen Güter sind jene Versorgungsinstanzen, die privat nicht hergestellt werden. In demokratischen Staaten unterliegen sie den Gesetzen der Politik.

13. In dem Sinne ist die Politik sui generis Teil der Ökonomie. Über den Staat erhebt sie Steuern, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Ihre Ausgaben sind allein politisch legitimiert: Wir haben es mit einer politischen Ökonomie zu tun, die öffentliche Güter erstellt.

Ein Teil der Produktion/des Bruttosozialprodukts wird staatlich, nicht marktlich inszeniert. Wir vergessen das leichthin, wenn wir von ‚der Wirtschaft’ reden.

14. Da alle Wirtschaftsakteure Staatsbürger sind, ist der Staat berechtigt, öffentliche Güter für alle zu produzieren und dafür Steuern zu erheben. Das ist die staatsrechtlich fundierte politische Ökonomie. Es gibt – für Staatsbürger – z.B. kein privates Argument, dem Staat die Steuern zu hinterziehen (Steuerbetrug). Formal müsste man folgern: Wer Steuern hinterzieht, kann kein Staatsbürger mehr sein.

15. Öffentliche Güter gelten für alle gleich (Priddat 2008). Daraus wird häufig der – private – Schluß gezogen, daß der Staat die Freiheit der Eigentumsrechte einschränkt. Doch ist das ungültig, weil öffentliche Güter allen zur Nutzung freistehen, um Infrastrukturen zu generieren, die auch die, die die Freiheit für sich besonders beanspruchen, nutzen (müssen): Verkehr, Militär, Justiz, Bildung, Geld etc. Das Nichtvorhandensein von solchen Infrastrukturen würde die Nutzung von Markt‐ und Eigentumsfreiheit sehr einschränken.

Öffentliche Güter sind Instanzen, Freiheitsrechte überhaupt ausüben zu können. Und zwar zu erheblich geringeren Kosten, als wenn man die Leistungen öffentlicher Güter selber erbringen müsste. In dem Sinne übrigens ist der Staat – auf die Volkswirtschaft bezogen – effizient. Bürokratiekosten sind kein von vornherein negativer Begriff: Es sind generell die Kosten der Aufrechterhaltung der Infrastruktur der Freiheit.

16. In dem Sinne ist die Freiheit infrastrukturell zu ermöglichen. Freiheitsbedingungen herzustellen hat Kosten (Steuern). Die Freiheit uneingeschränkten Zahlungsverkehrs – jetzt kommen wir auf das eigentliche Thema – (Kontotransaktionen) z.B. setzt die Infrastruktur eines globalen Bankensystems voraus. Wir sind es so selbstverständlich gewohnt, daß wir gar nicht mehr wissen, welche gewaltige globale Institution hier aufrechtzuerhalten ist. Der bargeldlose Zahlungsverkehr ist einer der bedeutsamsten Hebel, den die Banken gegen die Politik und ihre Regulierungen aufbringen können (Edmunds 2014: 63). Diese Kosten sind vornehmlich privat zu begleichen (Gebühren); zugleich aber ist diese Bankeninfrastruktur ein öffentliches Gut, das allen Bürgern freien Geldtransfer erlaubt. Da der Staat dieses öffentliche Gut nicht finanziert, ist es ein Kollektivgut der Finanzmärkte. Aber in dem Moment, indem dieses Kollektivgut infrage steht (Insolvenzdrohung des Bankensystems), übernimmt der Staat die Aufrechterhaltung des Gutes als quasi‐öffentliches Gut. Um das Bankensystem aufrechtzuerhalten, finanziert der Staat in Krisenfällen Banken.

17. Fast unmittelbar sind wir aus allgemeinen Erwägungen zur Frage des Bankensystems gelangt, und zwar auf einem anderen Weg, als er gewöhnlich gegangen wird. Wir haben gefragt, inwieweit das Bankensystem als öffentliches Gut einzuschätzen ist. Das führt uns zu einer weiteren Einschätzung, die ebenso ungewöhnlich ist:

Geld, das Medium des Bankensystems, ist kein Privatgeld der Banken, sondern selber ein öffentliches Gut: ein Medium der Wirtschaft der Gesellschaft.

18. Öffentliche Güter sind, eigentumsrechtlich betrachtet, Güter, die allen gehören (Priddat 2008). Der Staat verwaltet sie nur im Namen der Politik, die sie per Gesetz kreiert. Faktisch haben die Bürger nur Nutzungsrechte, kein Eigentumsrecht (sie können sich ihren Anteil am Kollektiveigentum nicht auszahlen lassen). Selbst wenn der Staat öffentliche Güter ‚privatisiert’, kann es das nur in Übertragung der Ausführung der Aufgabe tun, nicht aber als Verkauf eines Rechtes am öffentlichen Gut. Er verkauft die Produktion des öffentlichen Gutes, nicht das öffentliche Gut selbst. Denn er bleibt in der Pflicht, wenn die Privaten nicht liefern würden.

19. Genau das gilt auch für das Geld. Es gibt kein Privatgeld, sondern nur Staatsgeld. Die Geldemission ist einer – formal neutralen – Zentralbank übertragen. Die Nutzung des Geldes ist privat divers verteilt, nicht aber die Generierung von Geld. Der Staat ist für Währungs‐ und Geldstabilität verantwortlich, d.h. dafür, daß das Vertrauen der Bürger in die (relative) Geldwert‐ und damit Kaufkraftstabilität gewährleistet bleibt. Modernes Geld ist ein trust‐money; es hat letztlich keine andere Geltung als über das Vertrauen in seine Geltung.

20. Genau das ist die öffentlich‐rechtliche Funktion des Geldes als Staatsgeld. Wir sehen, daß jede Ökonomie des Geldsystems an die Gewährleistungsfunktion des Staates gebunden bleibt (bitcoin, um es en passant zu sagen, ist keine Währung, sondern wahrscheinlich ein Derivat). So komplex die konkreten Ausführungen dann jeweils sind, so grundsätzlich ist die Funktion des Geldes als öffentliches Gut benennbar. Ökonomisch erklärt man das dadurch, daß der Staat das geringste Insolvenzrisiko hat (im Gegensatz zu privaten Unternehmen oder gar privaten Geldemissionsinstitutionen). Daß diese Aussage nicht in allen Fällen stimmt, haben wir erlebt, als Ratingagenturen Staatspapiere (bonds) herunterbewertet hatten. Eine Staatsinsolvenz erschien plötzlich als denkbar. Ein paar Wahrheiten müssen wir neu bewerten.

21. Die Frage der Gewährleistung des Geldes wird sofort komplex, wenn wir uns des Geldschöpfungsmechanismus der Banken erinnern (leverage) (vgl. Edmunds 2014; Kratzmann 2004). Was hier an Buchgeld geschöpft wird, ist nur legitim in einem erfolgreichen Fristenmanagement (Fristentransformation) (Baecker 1991). Wenn aber die Banken das Geld nicht fristgemäß bekommen, was sie ex nihilo geschöpft und verliehen haben, stehen sie im Insolvenzrisiko. Ihr Bank‐Buch‐Geld – das ja kein Zentralbankgeld ist, sondern ihr selbstgeschöpftes Bankgeld – erweist sich dann als leer bzw. nichtig. Da sie sich im Interbankenhandel kurzfristig Kredit genommen hat, verfallen diese, und andere Banken leihen ihnen nichts mehr. Die Unterstützung, die Banken in diesem Moment vom Staat fordern, ist ein Unterstützung, ihr Eigen‐Buch‐Geld zu legitimieren. Das ist eine komplizierte Situation, da sie Geld fordern, das es eigentlich nicht gibt. Sie haben privat Geld geschöpft, das (noch) kein Staatsgeld ist. Sie wollen Eigengeld in Staatsgeld wechseln.

22. Das mag Ihnen unwirklich vorkommen. Aber es ist die Realität der Kreditbankensysteme. Solange es funktioniert, und die Bank ihr Eigengeld fristgerecht zurückerhält, bleibt es reine Marktfunktion. Bricht dieser Markt weg, muß der Staat eingreifen. Nebenbei:

Das, was die Banken an Buchgeld kreiert haben, taucht im Markt als real money auf. Denn die Kreditnehmer zahlen ja damit Transaktionen. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß die Geldfunktion hier nicht mehr auf Staatsgeld beruht, sondern auf fristengemanagetem Eigengeld der Banken.

Indem wir Banken diese Kredit‐leverage‐Funktion zugestehen, haben wir es potentiell mit Lädierungen des Geldes zu tun, das der Staat notfalls kompensieren muß. Ich will damit nur andeuten, wie verflochten der Geldmarkt mit dem Staat ist. Jedenfalls im Grenzfall. Wir können es so sagen: Im Grenzfall ist der Grenzwert des Geldes – bereichsweise – null, wenn er nicht staatlich kompensiert wird.

23. Die staatsrechtliche Bestimmung der Gewährleistung des Geldes als öffentliches Gut ist heute ein komplexer Vorgang. Denn moderne Staaten sind nicht mehr ausschließlich steuerfinanziert, sondern verschulden sich in Finanzmärkten. Zur Finanzierung von öffentlichen und Wohlfahrtsausgaben nimmt der Staat, um die Gesetze der Politik zu erfüllen, Kredite auf (Staatsanleihen), die global gehandelt werden. So entsteht eine Situation, daß die Finanzmärkte die Politik und die Staates ökonomisch bewerten. Die Politik hat das noch gar nicht systematisch verstanden: daß sie unter Beobachtung nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Märkte steht. An anderer Stelle habe ich das eine reelle direkte Demokratie genannt: aber eben nicht der Bürger, sondern der Märkte (Priddat 2013). Dieser Vorgang ist höchst bedeutsam, weil damit die Aufgabe der Gewährleistung der Geldordnung durch den Staat über die Abhängigkeit der Staaten von den Finanzmärkten relativiert wird.

Der Staat ist, als ökonomischer Akteur, Teil des Marktes (u.a. auch durch seine eigenen Banken), zugleich aber dessen Regulationsinstanz. Das relativiert seine Eingriffskompetenz.

Der Staat als „lender of last resort“ soll überschuldete Banken retten und muss doch feststellen, dass er selbst überschuldet ist. Wer rettet den Retter? (Brunnermeier/ Braunberger 2013).

24. Das ist offensichtlich geworden in den Regulations‐ und Ordnungseuphorien nach der letzten großen Krise 2007/2008. Nach anfänglich breit und hochwillentlich diskutierten Regulationsforderungen ist das Regulationsgeschäft inzwischen extrem gedämpft worden, als es konkret werden sollte, weil der Staat nicht mehr als autonome hoheitliche Rechtsinstitution fungieren kann, da er selber player in den global financial markets ist. Die Politik befindet sich in einem Dilemma: Ihre Handlungsfähigkeit hängt zunehmend von der Verschuldungsfähigkeit des Staates ab, die wiederum durch die globalen Finanzmärkte begrenzt wird. Die Politiker können ihr demokratisches Mandat nicht mehr vollständig ausfüllen. Angesichts der Finanzkrise muss auch die Politik neu definiert werden (Edmunds 2014; Brunnermeier/Braunberger 2013; Mayer 2014).

Wir brauchen – 40 Jahre nach dem Kollaps von Bretton Woods – neue, globale Formen der politischen Koordination, die es der Finanzwirtschaft unmöglich machen, sinnvolle Kontrollen durch Ausweichen in andere Länder zu umgehen. Nur so ist es möglich, zu verhindern, dass unablässig Spekulationsgewinne privatisiert, Verluste aber sozialisiert werden.

25. Auf die Einzelheiten will ich hier nicht eingehen. Wir haben es mit zwei Regulationsdimensionen zu tun: 1. mit der unmittelbaren Notaktion, das Bankensystem mit Millardenbürgschaften und Subventionen staatlich zu finanzieren. Und 2. die nachfolgende Regulation, die das System nötigen will, Bedingungen herzustellen, daß diese Insolvenzgefahr nicht mehr vorkommen möge. Darin ist 3. versteckt die Vorstellung, daß das Bankensystem in einem weitern Fall dieser Art nicht mehr auf die Finanzierungen durch die Staaten angewiesen sein möge (vgl. z.B. die Idee der Bankenunion).

26. Die Staatsfinanzierung von Banken ist kein einfaches Problem. Zum einen ist sie in den Krisen notwendig, weil sonst das Bankensystem zusammenbricht oder teilweise wegbricht. Staatsfinanzierungen sind dann Investitionen in die Öffentliche-Gut‐Struktur des Geldes: Aufrechterhaltung von Währungs‐ und Geldstabilität zur weiteren freien Nutzung von Geld. Aber zugleich sind es erzwungene Zahlungen, die zur Aufrechthaltung der Freiheiten des Bankensystems die Freiheit der Politik, autonom über ihre Budgets zu verfügen, aufheben bzw. beinträchtigen.

27. Wir sind im zentralen Thema moderner Gesellschaften: wie sie ihre Freiheiten managen. Es wir sofort offensichtlich, daß sich die Politik nicht zwingen lassen kann, ihre Freiheit aufzugeben, nur um die Freiheit anderer zu gewährleisten. Daß daraus die Regulationsidee hergeleitet wird, ist nur normal: nämlich dem Bankensystem nur noch jene Freiheit zuzugestehen, die die Freiheit anderer nicht beeinträchtigt. Vornehmlich die Freiheit der demokratischen Politik.

28. Doch sind solche Lösungen selber schwierig. Die Freiheitsbegrenzung der Politik durch Nötigung zur Subvention an insolvent werdende Banken ist gegen das Risiko abzuwägen, daß das Banken‐ und damit das Geldsystem zusammenbricht, was der Staat über seine Gewährleistungspflicht verhindern muß. Eine rein rechtliche Abwägung ist hier nicht tragfähig. Deshalb wird eine zweite Regulationsdimension so bedeutsam:

Wie verhindert man, daß Banken zusammenbrechen können? D.h. wie verhindert man, daß die Freiheit des Bankensystems die Freiheit anderer (betroffener Akteure, Staaten) einschränkt?

Für die ältere deutsche Ordnungsökonomik war das Haftungsprinzip geltend: Wenn eine Bank Kredite verausgabt hat, die sie nicht refinanzieren kann, ist sie aus dem Eigenkapital verpflichtet, die Haftung zu übernehmen (der berühmte amerikanische Ökonom Fischer bestand auf 100% Eigenkapitalsicherung von Krediten). Die Eigenkapitalstrukturen von Banken aber sind in modernen Finanzmärkten nicht so ausgelegt, daß relevante Haftungsübernahmen möglich sind. Deshalb empfehlen viele Ökonomen hohe Eigenkapitalquoten (Fama, der diesjährige Nobelpreisträger; Hellwig ca. 20 – 30%). „Wenn die Eigenkapitalquote steigt, dann sinkt das Risiko einer Insolvenz. Dies gilt aber nur dann, wenn sie auf der Basis eines echten und nicht eines risikogewichteten Werts – wie es seit den Vorschriften von Basel II möglich ist – berechnet wird.“ (Hellwig 2008).

29. Als Anleger muß man wissen, auf welche Risiken man sich einlässt. Daß Derivate vor Jahrzehnten rechtlich verboten waren, erinnert an das Problem: Wenn Banken Derivate konstruieren, legen sie allein schon durch ihr Angebot nahe, daß man damit gewinnen könne, wenn man es kauft. Aber der Algorithmus ist doch nur ein Wettsystem, kein definiertes Produkt. Der Staat kann darauf hinweisen, daß er in keiner Form irgendeine Haftung übernimmt. D.h. daß jeder die Haftung für sich übernehmen muß. Warum soll der Staat eine Wette schützen?

30. Um das trennen zu können – den schützenwerten Teil des banking und den nicht schützenswerten –, schlagen viele Ökonomen vor, die Banken in Kredit‐ und Investmenthäuser aufzuteilen (Trennbankensystem). Alles Investmentbanking sei abzutrennen, damit es notfalls insolvent gehen könne, ohne die anderen Abteilungen mitzureißen. Die klassische Kreditbankensysteme hingegen – plus der Infrastruktur der Kontenführungen des Zahlungssystems – bleiben unabhängig. Man meint damit, die Kreditbanken vor den Volatilitäten der Investmentbankabteilungen schützen zu können. Wenn der Staat Subventionen gäbe, dann nur für diese Kreditbanken. Ich halte diesen Vorschlag für angemessen, weil er das Risiko des Staates, zahlen zu müssen, auf das begrenzt, was wir als öffentliches Gut Geld‐ und Bankensystem benannt hatten. Gehen wir genauer in das Feld der Regulationen:

31. Bankengröße und ihre Überwachung: Banken sollten unterteilt werden in Investmentbanken und Geschäftsbanken – nach bewährten historischen Regeln (Glass Steagall Act (1933), der 1999 abgeschafft wurde). Die Größe der Banken sollte begrenzt werden, um das Too‐big‐to fail‐Problem zu umgehen, das nichts anderes als eine von allen getragene Gratisversicherung für Risikogewinne bedeutet, von denen nur wenige profitieren. Die Risiken müssten angemessener verteilt werden.

32. Zulassung von Finanzprodukten: Finanzprodukte sollten zertifiziert sein, wie es bei den Produkten z.B. im Pharma‐, im Ernährungsbereich und anderswo der Fall ist. Bei gesundheitlichen und technischen Risiken sind wir hochsorgsam, bei finanzökonomischen nicht. Derivate sind als Versicherungen nützlich, aber als Wette auf einen Bankrott gefährlich. Deswegen sollten sie in dieser Form verboten werden (z. B. Naked CDS: Credit‐Default‐Swap: ermöglicht den Schutz vor dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit eines Vertragspartners. Naked heißt, es gibt keine zugrundeliegende Wertbasis, die diese Versicherung rechtfertigt).

33. Marktregulierung: OTC‐Transaktionen sollten verboten sein (OTC: Over‐the‐counter: Unregulierte und intransparente Markttransaktionen). Sie schaffen unvertretbare Risiken. Nur Transaktionen in organisierten und transparenten Märkten sollten erlaubt sein. Der ‚graue’ OTC‐Markt sorgt für wilde Exzesse und Krisen. Im Grunde ist er gar kein Markt, d.h. hat keine allgemeine transparente Preisbildung.

34. Volatilitätsbegrenzung: Um die Volatilität und das Volumen von reinen Finanz‐Transaktionen zu verkleinern, sollte eine Transaktionskostensteuer eingeführt werden: eine Steuer in Höhe von 0,1 % ist sehr gering, aber dennoch hoch genug, um riskante und unproduktive Transaktionen zu vermindern (Man bedenke die Differenz: gewöhnliche Realtransaktionen werden in der EU mit einer Mehrwertsteuer von bis zu 25 % belegt). Vor allem High‐ Frequency‐Trading wird dadurch begrenzt. Die Besteuerungsunterschiede haben keine Ratio, die beide Seiten akzeptieren.

35. Anreizstrukturen und ihre Besteuerung: Boni sind zu begrenzen und durch Mali zu ergänzen, um verantwortliches Wirtschaften zu fördern. Boni sollten besonders für erfolgreiches Controlling und Risikomanagement gezahlt werden. Das Steuersystem muss transparent und effizient neu gestaltet werden.

36. Schuldenabbau: Globale Schuldenberge (privat und öffentlich) sollten bald abgebaut werden: 1. durch einen global koordinierten Schuldenerlass (jene, die spekulieren, werden weniger Kapital erhalten) und 2. durch den Ertrag einer Finanztransaktionssteuer. Damit soll verhindert werden, dass dieser Schuldenprozess sich anarchisch entwickelt und in große soziale Krisen mündet. Zum Beispiel: Die Einnahmen, die der Staat durch die Besteuerung von High‐Frequency‐Trading gewinnt, dienen dazu, seine Schulden zu verkleinern.

37. Interessenkonflikt: Die geltenden Regulierungen (Basel II, III) haben den Ratingagenturen zu viel Gewicht und Macht übertragen. Durch die Form ihrer Finanzierung stehen sie zudem in einem fundamentalen Interessenkonflikt. Institutionelle Neuregelungen sind dringend erforderlich.

38. Manche Ökonomen halten diese Schritte wiederum für riskant, weil sie das Wertschöpfungspotential der Finanzmärkte begrenzen, damit das Wachstum.

Aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive aber sind alle Finanzformen, die Investition und Beschäftigung (d.h. Einkommen aus Beschäftigung) forcieren: vor allem Kredite, notwendige Finanzformate. Alle Finanzformate, die lediglich Mehrwert aus Finanzformaten generieren, sind besondere Märkte, deren Wachstum für die volkswirtschaftlichen Ziele Investition und Beschäftigung als nicht notwendig erscheint.

Man trennt, wenn man so redet, zwischen Real‐ und Finanzökonomie. So zu reden, klingt vernünftig, denn in Antwort auf die Frage "Wozu Wirtschaft?" kann der Staat nicht darauf verzichten, all jene Handlungen zu fördern, die das Einkommen der Bevölkerung stärken und stabilisieren. Nur so kann der Staat die Wohlfahrtskosten senken, d.h. die Verschuldung (partiell) abbauen, indem der den Markt anreizt, beschäftigungswirksames Wachstum zu realisieren.

39. Ein Grund für die sichtbar gewordenen Hemmnisse, die Regulationen durchzusetzen, mag darin liegen, daß dann auch die Staatsanleihen versteuert und verteuert werden würden. Man sieht unmittelbar, wie die Regulationsanforderungen sich mindern, wenn der Staat selber als Finanztransakteur operiert. Wir können den Staat zwar weiterhin – staatsrechtlich – als hoheitliche Instanz über den Märkten ansehen, aber die Politik ist längst ein player, der den Finanzmarkt nur soweit regulieren kann, wie sie ihre Freiheit, sich zu verschulden, nicht gefährdet.

40. Deshalb kann die Politik sich nur selbst binden, indem sie ihren Staat hochfährt: d.h. gesetzlich regelnde Institutionen einführt, die sie selber daran hindern, jeweils wieder opportunistisch‐situativ sich anzupassen. Ich weiß, wie schwierig das in einem multinationalen Kontext wie der EU ist. Aber auch eine – die einzige – Chance.

41. Als Volkswirt kann ich den unlimitierten Finanzmarkt – das System der Derivatenbildung ist nach oben offen – nur dann befürworten, wenn das System die Anlage in Realkapital forciert. Alles andere ist sui generis Privilegierung von Wettgeschäften. Der Staat, wenn ich das hegelianisch‐altrepublikanisch formulieren darf, ist der Staat aller Bürger: citoyens, nicht nur der kleinen Gruppe der bourgeois. Wir haben, wenn ich das anschließen darf, momentan tendentiell ein ‚wildes Marktverständnis’, kein gesellschaftliches.

Alles Risiken, die die einen auf andere (die gar nicht beteiligt sind: Steuerzahler) abwälzen können, sind keine reellen Allokationsordnungen.

42. Kapitalismus ist kein reines Mehrwertgeschäft, sondern daraufhin zu prüfen, welche Mehrwerte welche Wohlfahrt bescheren. Sonst würden wir eine betriebswirtschaftliche Freiheit befürworten, die gesamtwirtschaftliche, gesellschaftliche und Wohlfahrtsziele aufgibt. Denn es geht nicht nur um Mehrwert, sondern um die – angemessene primäre – Verteilung des Mehrwertes. Wir haben heute mit Situationen zu tun, in denen Aktienwerte z.B. nicht nach nachhaltiger Dividendenbewirtschaftung gewertet werden, sondern nach davon unabhängigen Kriterien, die nicht sicherstellen, daß die zugrundeliegenden Firmen ihre gesellschaftliche Funktion der Sicherung von Beschäftigung optimal nachkommen. Dass wir uns angewöhnt haben, z.B. mergers zu begrüßen, obwohl sie Entlassungen zur Folge haben, zeigt, daß wir ein volkswirtschaftliches Kriterium hinter die Freiheit der Eigentumsrechte stellen.

43. Was ist Wirtschaft? Eine angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Einkommen, gegebenenfalls ihre Steigerung (welfare). Und zwar für alle. Der Staat hat, erinnern wir die obigen Ausführungen, eine Gewährleistungsfunktion. Wozu sonst dient er Demokratien?

Zur effizienten Allokation aller Ressourcen gehört eine angemessene Primärverteilung; das war zumindest die klassische Legitimation des Kapitalismus.

Wir sind an eine Grenze gestoßen (Thomas Piketty: Capital in the Twenty‐First Century, 2014), an der wir fragen müssen, ob die unlimitierten Finanzmärkte noch volkswirtschaftlich legitim sind. Chancengleichheit, Leistungsgerechtigkeit, eine breite Mittelschicht – all das war das Produkt einer einmaligen Konstellation nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Kräfte des Marktes eingehegt wurden. Und wenn die Politik das verlorengegangene Terrain nicht zurückerobert, erinnert uns Piketty, dann verliert die Demokratie ihr ökonomisches Fundament.

44. Der Finanzmarkt hat eine Eigendynamik, der die Primärverteilung der Wirtschaft/der Gesellschaft soweit bereits verschoben hat, daß wir der Politik fast nicht mehr zutrauen, das zu readjustieren. Deshalb erörtern wir gesellschaftliche Alternativen des Umganges mit Geld und Kapital. Das sind alles angemessene Reaktionen. Aber ich befürchte, daß wir ohne eine staatliche Regulation der Wucht der Dynamik dieser Entwicklungen nicht Herr werden.

 

Literatur

Baecker, D. (1991): Womit handeln Banken? Eine Untersuchung zur Risikoverarbeitung in der Wirtschaft, Suhrkamp Verlag

Barzel, Y. (2002): A Theory of the State: Economic Rights, Legal Rights, and the Scope of the State, Cambridge University Press

Brunnermeier, M. / Braunberger, G. (2013): Geldpolitik im Teufelskreis, 17.4.2013, http://blogs.faz.net/fazit/2013/04/17/geldpolitik‐im‐ teufelskreis‐1420/

Edmunds, B. (2014): Demokratische Politik im Schlepptau einer verselbständigten Finanzwirtschaft, 53 – 70 in: Horster, D. / Martinsen, F. (Hrsg.): Verbotene Liebe? Zum Verhältnis von Wirtschaft und Politik. Weilerwist, Velbrück

Gabriel, M. (2014): ‚Das Meiste von Platon ist Schrott’, Interview, 61 – 67 in: Hohe Luft. Philosophie‐Zeitschrift, Nr. 3 / 2014 Hellwig, M. (2008): Wenn die Interessen verwischen, in: FAZ, Nr. 274, 22.11.2008, 13

Kratzmann, H. (2004): Das Geld: Vertragsobjekt, Rechtskonstrukt und ökonomische Größe, Norderstedt: books on demand

Mayer, Th. (2014): Die Ökonomen im Elfenbeinturm, Tübingen: Mohr Siebeck

Priddat, B.P. (2002): John Stuart Mill über Freiheit, S. 17 – 42, in: John Stuart Mill, Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie, Schriftenreihe des 'Dogmenhistorischen Ausschusses' des Vereins für Socialpolitik (Hrsg. E. W. Streissler), Bd. 115/XIX, 2002, Berlin: Dunker&Humblodt

Priddat, B.P. (2008): Öffentliche Güter als politische Güter, 152 – 173, in: ZögU (Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen), 31. Jg., H. 2 / 2008

Priddat, B.P. (2013): Die unmögliche Demokratie, N.Y. / Ffm.: Campus 2013. E‐book: http://e‐books.campus.de/product_info.php?info=p1503_Die‐unmoegliche‐Demokratie.html