Nach mittlerweile drei Besuchen bei den Mündener Gesprächen bin ich zum richtigen Fan geworden und möchte sie nicht mehr missen! Die Mündener Gespräche sind Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, jeweils an einem Wochenende im Frühjahr und im Herbst eines jeden Jahres. Seit 1986 werden sie von der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft 1950 e.V. ausgerichtet, manchmal auch in Kooperation mit anderen Organisationen.
Früher fanden die Tagungen in Hann. Münden statt, daher der Name "Mündener Gespräche". Nun trifft man sich schon seit einigen Jahren in der dafür bestens geeigneten Reinhardswaldschule in Fuldatal-Simmershausen bei Kassel, zentral in der geografischen Mitte Deutschlands gelegen.
Die Sozialwissenschaftliche Gesellschaft (SG) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Diskussion über eine kapitalismusfreie Marktwirtschaft zu fördern und nach den Voraussetzungen einer freiheitlichen und humanen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu suchen, in der eben nicht alles vom Rentabilitätsprinzip beherrscht wird. Dabei ist es den Veranstaltern wichtig, nicht nur von Gleichgesinnten zu lernen, sondern auch herausfordernde Meinungen zu hören, um gemeinsame Suchbewegungen zu ermöglichen.
Mit der diesjährigen Frühjahrstagung zum Thema "Regionalwährungen" ist die SG ihrem Streben wieder sehr nahe gekommen. In Kooperation mit dem Regiogeld e.V., dem Dachverband der Regiogeld-Initiativen, widmete man sich den Regionalwährungen als Modellversuche zur praktischen Erprobung eines gerechteren Geldes und zur Re-Regionalisierung einer sich immer stärker globalisierenden Wirtschaft. Damit knüpfte man an den Kongress zur monetären Regionalisierung an, der im Herbst 2006 an der Bauhaus-Universität in Weimar stattfand (www.monetary-regionalization.com).
"Wir machen teuer, was Ihnen lieb ist!"
Gleich bei der Begrüßung prangte vorne an der Wand ein nicht gerade dezenter Hinweis darauf, wie sehr uns die Wirtschaft heute beherrscht: der erste Vortrag von Prof. Dr. Arno Gahrmann (Hochschule Bremen) - gesponsert von einer Brauerei?! Herr Gahrmann, "Generalbevollmächtigter der Firma Sun Invest", trat mit Sonnenbrille auf und versuchte, uns die Investition in seine neueste Geschäftsidee schmackhaft zu machen. Dazu sahen wir erst einmal alle "schwarz". Ein Bild seiner Powerpoint-Präsentation sollte uns den "idealen Zustand" vor Augen führen: Wenn es überall dunkel wäre, ließe sich das Sonnenlicht super vermarkten und wir könnten alle reich werden! - Was als kabarettistischer Einstieg in sein Vortragsthema "Alles nur noch Ökonomie?" gedacht war, brachte uns zwar zum Lachen, legte aber gleichzeitig den Finger in die Wunde: Wie weit kann die Ökonomisierung unseres Lebens noch fortschreiten?
Gahrmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre, betonte die Fragwürdigkeit dieser Entwicklung. Der entscheidende Antrieb unserer Wirtschaft sei heute die Vermögensmehrung, die Mehrung von Eigentum. Dieses Paradigma habe sich seit den frühen 1970er Jahren immer mehr durchgesetzt, u.a. durch Wissenschaftler wie Richard Posner von der Universität Chicago, die Eigentumsrechte an allem befürworteten und einer falsch verstandenen "Wohlstandsmaximierung" das Wort redeten. Nach diesem rein zahlenmäßigen Wachstum streben wir in der deregulierten, nur auf Kosteneffizienz bedachten heutigen Globalisierung. Gahrmann konfrontierte uns mit der Frage (ohne sie wörtlich zu stellen), ob wir das so wollen - oder ob wir lebendig wirtschaften wollen.
Die Alternativen verdeutlichte er uns wieder bildhaft. Einem begradigten Fluss, durch den das Wasser immer schneller strömt und nicht mehr gebändigt werden kann, stellte er einen natürlichen Flusslauf gegenüber, mit natürlichen Widerständen für das Wasser. "Wir brauchen solche Widerstände. Wir brauchen Anker, Dämme und Häfen im Ozean der Ökonomie.", so das Plädoyer Prof. Gahrmanns. Dazu könnten die Regiogelder einen Beitrag leisten.
Staatliche Förderung der Regiogelder
Im zweiten Vortrag stellte Prof. Dr. Johann Walter von der FH Gelsenkirchen seinen Vorschlag staatlicher Komplementärwährungen als "drittem Weg" zwischen Geldreform und dezentralen Regiowährungen vor. Er sei erst vor drei Jahren im Internet auf die freiwirtschaftlichen Geldreform-Ideen gestoßen und somit noch "Newcomer" auf dem Gebiet. Es habe ihn erschüttert, dass es in seinem Studium keinerlei Auseinandersetzung mit der Thematik gegeben habe, obwohl er in Münster u. a. bei einem ausgewiesenen Geldexperten studiert hatte.
Walter hat sich Gedanken darüber gemacht, ob man Alternativen zum jetzigen, mit Fehlern behafteten Geldsystem top down (von oben) oder bottom up (von unten) durchsetzen könnte, oder ob es noch eine dritte Möglichkeit gibt. Eine Geldreform à la Gesell in naher Zukunft erscheint ihm nur schwer realisierbar, daher hat er sich den Regiowährungen zugewendet.
Aber auch hier sieht er Schwierigkeiten: Wenn man eine weite Verbreitung und ein Volumen der Regiogelder anstrebt, das auf die Landeswährung zurückwirkt, dann würden die Regiogelder wohl verboten werden, wie Anfang der 1930er Jahre in Wörgl.
Um die positiven Aspekte der Sekundärwährungen auf eine höhere Bedeutungsstufe heben zu können, brauche man die Akzeptanz und Unterstützung von offizieller Seite. Daher schlägt Walter vor, die Regiowährungen als offizielle, staatliche Komplementärwährungen in Erwägung zu ziehen, um so ihre Vorzüge nutzen zu können. Die Zentralbank könnte mit ins Boot geholt werden, indem sie relative Obergrenzen für die Komplementärgeldmenge festlegen dürfte.
Welche ist die suboptimale Währung?
Nach der Mittagspause unterzog Prof. Dr. Gerhard Rösl von der FH Regensburg die Regionalwährungen einer kritischen Analyse. Rösl ist in der Regiogeldbewegung bekannt geworden, weil er sich schon mit dem Regiogeld beschäftigt hat, als er noch bei der Bundesbank arbeitete. Rösl machte deutlich, dass er die Regiowährungen tatsächlich als Geld betrachtet. Es seien eben keine Gutscheine, wie oft behauptet, denn Gutscheine könne man nicht an Dritte weitergeben. Auch Tauschringe und Barterclubs würden Geld schaffen, obwohl sie behaupteten, lediglich zu verrechnen. Die Tauschring-Einheiten seien Privatgeld, da die beim Tauschring registrierten Forderungen im Prinzip gleichbedeutend mit einer Einlage auf dem Girokonto seien.
Diese Arten von Geld seien jedoch gegenüber der staatlichen Währung nur "suboptimal". Dass die Tauschringe nicht wegen ihrer Ineffizienz längst eingegangen sind, liegt laut Rösl daran, dass sie die Möglichkeit sozialer Interaktion bieten. Und die Regiogelder mit ihrer Umlaufsicherung sind in Rösls Augen erst recht "suboptimal". Die Umlaufsicherung mache das Geld unnötig schlecht, stabiles Geld würde immer bevorzugt werden. - Die viel gefährlicheren Instabilitäten des nicht umlaufgesicherten Geldes blendete er völlig aus seiner Betrachtung aus. Funktioniert denn das normale Geld etwa optimal?!
Für Rösl macht es gar keinen Sinn, dass Euro in Regiowährung getauscht wird, da so keine zusätzlichen Zahlungsmittel in Umlauf kämen (was von Fachleuten wie Hugo Godschalk allerdings anders gesehen wird). Immerhin war Rösl bereit zuzugestehen, dass die Regiogelder ein Gegengewicht zur Globalisierung darstellen und den sozialen Zusammenhang in der Region stärken könnten - aber dazu könne man prinzipiell auch den Euro verwenden, meint Rösl.
Wachstum löst die Probleme nicht, es schafft sie!
Meine größte Zustimmung fand das dann folgende Referat von Dr. Niko Paech, der am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg tätig ist. Paech stellt sich mutig der herrschenden Wachstumsideologie entgegen und weist nach, dass eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch gesamtökonomisch auf längere Sicht unrealistisch ist. Die Rede vom qualitativen Wachstum ist größtenteils Augenwischerei. Der Dienstleistungsbereich verschlingt auch Ressourcen. Schmutzige Wertschöpfungsbestandteile werden einfach in andere Länder verlagert und Chinas Wirtschaft zum Beispiel wächst so stark, wie die Umweltschäden dort zunehmen.
"Wie wenige trauen sich, dies auszusprechen: Wachstum löst die Probleme nicht, es schafft sie! Wachstum erzeugt die Notwendigkeit weiteren Wachstums, ohne die Ungleichheit zu verringern."
Wachstum macht ab einem bestimmten Niveau nicht mehr glücklich. Paechs Befund für die letzten 50 Jahre: Es gab ein einzigartiges Wirtschaftswachstum, aber keine Zunahme der Lebenszufriedenheit.
Daher geht es ihm um die Schaffung einer "Post-Wachstumsökonomie", die auf Suffizienz beruht. Gemeint ist damit eine Lebens- und Wirtschaftsweise, die dem Überverbrauch von Gütern und damit von Stoffen und Energie ein Ende setzt. Was wir dazu dringend brauchen, sind Institutionen, die uns helfen, den Übergang in eine solche Wirtschaft zu gestalten. Hier können Regionalwährungen eine wichtige Aufgabe übernehmen.
Die Vorträge regten spannende Fragen und Gespräche an, so dass wir TeilnehmerInnen auch in den Pausen noch munter weiterdiskutierten. Und auch am Abend waren wir nicht zu müde, die beiden angebotenen Workshops zu besuchen. In dem einen befasste man sich mit der Bedeutung der Umlaufsicherungsgebühr für die Regios, im anderen stellten sich drei Initiativen vor: die "Bürgerblüte" aus Kassel, die "Augusta" aus Göttingen und die "Kirschblüte" aus Witzenhausen.
Regiogelder bewusst nutzen
Am Sonntagmorgen versuchte Prof. Dr. em. Harald Spehl von der Universität Trier eine Antwort darauf zu geben, welchen Beitrag die Regiogelder zur Regionalentwicklung leisten können. Spehl, Volkswirt mit dem Schwerpunkt Stadt- und Regionalökonomie, ist der Anthroposophie verbunden und gehört - neben Udo Herrmannstorfer und Christoph Strawe - dem Vorstand des Instituts für soziale Gegenwartsfragen e.V. in Stuttgart an, das die Zeitschrift "Sozialimpulse" herausgibt.
Es sei wichtig für die Regiogelder zu klären, wie ihr Währungsraum optimalerweise aussehen, wie groß er sein und welche Funktionen er erfüllen sollte. Die Regionen würden bisher hauptsächlich von den Determinanten Konjunktur, Geld- und Finanzmärkte, technische Entwicklung, Wirtschafts- und Bildungspolitik beeinflusst. Die Regiogelder spielten noch keine große Rolle, was sich aber vielleicht ändern könnte.
Regionalentwicklung wird - was durchaus fragwürdig ist - in der Zunahme des Bruttoinlandsprodukts pro Einwohner der Region gemessen. Als Mittel hierzu wird bisher meist der Export angekurbelt, weil dadurch Geld in die Region kommt. In Zukunft könnte man jedoch alternativ das Augenmerk mehr auf die Stärkung der Wertschöpfung in der Region legen und die Importquote senken.
Bisher wird Regiogeld nur in kleinen Mengen emittiert, deswegen kann seine Wirkung nicht besonders groß werden. Wenn man allerdings das Regiogeld gezielt dazu einsetzen würde, die Vernetzung in der Region zu fördern und Wertschöpfungsketten in der Region zu bilden, könnte die Wirkung sehr positiv sein. Das ist für Spehl jedoch kein Automatismus.
Neben einem funktionierenden Zahlungsmittel sei es ebenso wichtig, den vermachteten Märkten wirtschaftliche Assoziationen entgegenzusetzen, in denen sich Produzenten und Verbraucher regelmäßig darüber austauschen, was wie produziert werden soll und welcher faire Preis dafür zu zahlen ist. Dazu passt das Regiogeld gut, meint Spehl - vorausgesetzt, es wird bewusst eingesetzt!
Absolut wichtig fand ich noch Spehls Hinweis gegen Ende, dass die Regiogelder mit öffentlichen Akteuren kooperieren müssten und auch mit Banken und Sparkassen, um vom reinen Gutscheinsystem mit seiner begrenzten Wirkung wegzukommen und in Zukunft durch elektronische Zahlungssysteme auch Spar- und Kreditfunktionen erfüllen zu können.
Geld wird immer noch unterschätzt
Die abschließende Podiumsdiskussion war für mich zwar auch interessant, aber doch auch etwas enttäuschend. Wir haben viel Anregendes von den Referenten gehört, zum Schluss blieb jedoch der Eindruck, dass sie sich mit dem Wirkmechanismus des Geldsystems eigentlich noch nicht eingehend befasst hatten und diesen unterschätzen. Vermachtete Strukturen, Monopole, Eigentum an Produktionsmitteln und Boden, Renditestreben, Aktienhandel und Spekulation, all diese Problemfelder, die uns heute beschäftigen, werden gesehen - aber dass die Funktionsweise des Geldsystems diese Entwicklungen entscheidend mitverursacht hat, das hat man sich noch nicht genügend klar gemacht.
Dieser Artikel ist der INWO-Mitgliederzeitschrift FAIRCONOMY entnommen. Zwei kostenlose Ausgaben können über das Kontaktformular bestellt werden.
von Beate_Bockting - 01. Juni 2008