Beate Bockting merkt dazu an: »Wenn es also stimmt, dass das Geld bei Minuszinsen auch zahlenmäßig weniger wird, heißt das ja auch, dass Schulden getilgt werden. Das sollte doch im Sinne von attac sein?« Eibel macht zwar die Dimension von Geldvermögen und Schulden deutlich, doch ohne die Konsequenzen aufzuzeigen: »Das private Geld der Geschäftsbanken bewegt sich aber in der Größenordnung von 13 Billionen.« Bei einer Verzinsung mit lediglich einem Prozent ergeben sich daraus leistungslose Einkommen von jährlich 130 Milliarden Euro. Anstatt jedoch zu kritisieren, dass Regierungen durch staatliche Kreditprogramme die Zinssätze am Kapitalmarkt künstlich hochhalten, während die Wirtschaftslage schon lange keine positive Verzinsung des Geldkapitals mehr rechtfertigt, unterstützt Eibl die Kritik der Kapital-Lobbyisten an der EZB-Zinspolitik: »Proteste dagegen nehmen zu«, heißt es im Interview und weiter: »Die grundsätzliche Frage ist, ob diese Politik sinnvoll ist: Sparen zu bestrafen und zugleich Kreditnahme für Spekulationszwecke zu unterstützen. Wir von ATTAC finden das unangemessen.« Dabei weiß man bei attac sehr wohl, dass die Hälfte der Bevölkerung über keine nennenswerten Ersparnisse verfügt und lediglich das obere Segment der Wohlstandspyramide Geldvermögen besitzt, die den verbreiteten Freibetrag für Negativzinsen von 100.000 € übersteigen.
Der im Namen von attac formulierte Satz: »Leiht sich jemand Geld, sollte er eine Leihgebühr bezahlen, Zinsen eben. Das Problem ist nicht, wie hoch der Zinssatz ist, sondern welche Wirtschaftspolitik gemacht wird«, ist ein Schlag ins Gesicht jedes Menschen, der nicht von seinem ersparten oder geerbten Vermögen lebt. Und es ist ein Schlag ins Gesicht jedes Unternehmers, der Fremdkapital braucht, um eine gute Idee und ein engagiertes Business umzusetzen.
Beate Bockting stellt darüber hinaus klar: »Die EZB bestraft auch nicht das Sparen. Sie macht nur deutlich, dass es keine risikofreien positiven Zinsen mehr geben kann. Wenn das Wachstum aufgrund von ökologischen Grenzen und Sättigung stagniert oder sogar zurückgeht, dann sollten Sparer doch bereit sein, den Investoren für den relativen Werterhalt ihrer Ersparnisse einen kleinen Prozentsatz der Tilgungssumme zu erlassen (Negativzinsen). Es gibt kein Recht auf positive Zinsen. Und es macht auch keinen Sinn, dass potentielle Investoren immer noch positive Zinsen erwirtschaften sollen.«
In ihrer Leserzuschrift an die „junge Welt“ ergänzt Alwine Schreiber-Martens: »Warum sollte eigentlich immer für geliehenes Geld eine Leihgebühr bezahlt werden - wenn doch Kreditmittel/Geldvermögen im Überfluss Anlage suchen? Deshalb sind doch die Zinsen am Kapitalmarkt so niedrig! Da werden sogar negative Renditen akzeptiert! Die EZB beeinflusst den kurzfristigen Zins am Geldmarkt. Und der sollte immer deutlich unter dem für längerfristige Mittel liegen - damit eben für Bankkunden die längerfristige Festlegung attraktiver ist! Da bleibt doch der EZB nur Negativzins! Und richtig: hier geht es nicht um die Höhe des Zinssatzes, sondern um die Höhe der Differenz dieser beiden Sätze am Geld- und am Kapitalmarkt.«
Es ist schwer nachvollziehbar, warum Alfred Eibl als Mitglied im Koordinierungskreis des Netzwerks attac Deutschland mit Schwerpunkt Finanzmärkte und Steuern sich dafür hergibt, milliardenschwere Zinserträge des Finanzkapitals zu rechtfertigen. Bedauerlich ist es auch, dass Gitta Düperthal für die linke Zeitung „junge Welt“ so unkritisch interviewt und selbst die Mär von der »Enteignung der Kleinsparerinnen und Kleinsparer« kolportiert. Auch sie müsste wissen, dass die unterstellte Belastung der Kleinsparer durch Minuszinsen oder daraus resultierende Geldgebühren Unsinn ist. Schon eine kurze Überschlagsrechnung entlarvt dieses Lobby-Argument:
Wenn eine Familie über den Monat verteilt durchschnittlich 300 € im Geldbeutel hat und durchschnittlich 1.000 € auf dem Girokonto, würde eine Geldgebühr von 4% auf Bargeld und 3% auf täglich fällige Einlagen sie mit monatlich 3,50 € belasten. Sollten ihre langfristigen Ersparnisse von 10.000 € (das ist schon mehr als die meisten haben) tatsächlich ebenfalls negativ verzinst werden, sagen wir mit -1% (-2%), kostete sie das jährlich 100 € (200 €). Bedenkt man weiterhin, dass unter aktuell üblichen Bedingungen jedem Kontohalter ein Freibetrag von 100.000 € eingeräumt wird, bevor überhaupt Negativzinsen erhoben werden, entlarvt sich die Verlogenheit dieser Argumentation endgültig.
Ein negatives Zinsniveau führt zu sinkenden Preisen, höheren Löhnen, ggf. zu einer geringeren Steuerlast. Es ermöglicht die Beendigung der schleichenden Inflation und es entlastet all jene Unternehmerinnen und Unternehmer, die auf Fremdkapital angewiesen sind, im Überlebenskampf gegen die Konzerne und die Finanzindustrie. Hinzu kommen für jede/n Einzelne/n die ökologischen Ersparnisse einer Postwachstumsökonomie. Ein weites Feld, das sich attac-Protagonisten erarbeiten sollten, anstatt diese Chancen zu diskreditieren.
Lesen Sie hierzu auch: »Propaganda gegen Minuszins wird ausgeweitet«, »Die Wirtschaft braucht jetzt Negativzinsen« und »Sozialdemokraten, Grüne und Linke verschlafen einzigartige historische Situation«.
Klaus Willemsen, 20.8.2020