Corona – und ein drittes Szenario danach: eine galoppierende Inflation

Nach den beiden vorherigen Szenarien stellen wir uns nun die Frage: Ist nach Corona eine galoppierende Inflation, wie sie sich in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entwickelte, denkbar?

Hier wurde ein Szenario „nach Corona“ entworfen, in dem sich inflationäre (Geldentwertung, Preisniveau steigt) und deflationäre (Geldaufwertung, Preisniveau sinkt) Tendenzen ungefähr die Waage halten, vielleicht mit einem leichten Übergewicht hin zur Deflation. In einem zweiten Szenario wurde eine mögliche Entwicklung mit länger andauernder, moderater Inflation skizziert. Nachfolgend stellen wir uns die Frage: Ist eine galoppierende Inflation, wie sie sich in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entwickelte, wahrscheinlich?

Die heutige Situation unterscheidet sich von der damaligen stark. Eine galoppierende Inflation wird eigentlich nur vor dem Hintergrund einer hohen Auslandsverschuldung in Fremdwährung wahrscheinlich. Genau dies war die Situation in Deutschland nach Ende des Ersten Weltkriegs aufgrund hoher Reparationsverpflichtungen. Hohe Inflationsraten „verwässern“ die Schulden und machen sie dadurch tragfähig. Aber Schulden in Fremdwährung sind von der inländischen Inflation nicht betroffen, sie lassen sich nicht „weginflationieren“. Im Gegenteil: Anhaltend hohe Inlands-Inflation verschlechtert den Wechselkurs der Inlandswährung nach außen und „vergrößert“ so die Auslandsschulden. Nur, wenn man damit die Forderung nach einem Schuldenerlass begründen will, wird eine Inflation im Inland bei gleichzeitiger Überschuldung in Fremdwährung möglicherweise noch immer als Mittel der Wahl angesehen, obwohl sie eigentlich unbrauchbar ist.

Situation nach dem Ersten Weltkrieg

In Deutschland hatte die Reichsbank 1914 den Goldstandard außer Kraft gesetzt und die Kriegsfinanzierung übernommen, indem sie dem Reich quasi direkt Kredite gewährte. Diese Methode wurde angesichts der Reparationsforderungen nach dem Krieg weiter aufrechterhalten. Und als es wegen unzureichender Reparationszahlungen Deutschlands im Januar 1923 zur Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen und danach zum Ruhrkampf – mit passivem Widerstand und Generalstreik, aber auch Sabotageakten – kam und der Staat die Löhne der streikenden Arbeiter bezahlte, gewährte die Reichsbank unter ihrem Präsidenten Havenstein weiterhin Kredite. 1922 mehrten sich die Forderungen an die Reichsbank, diese massiv inflationäre Kreditvergabe zu beenden, ohne Erfolg – möglicherweise auch aufgrund der sehr instabilen politischen Lage: In allen politischen Lagern gab es massive Kritik an den Reparationsforderungen, es gab keine Einigkeit darin, mit welchen Maßnahmen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Versorgung der Bevölkerung in Deutschland wieder erreicht werden könnte. Es war insofern eine politische Entscheidung, die wachsende Inflation nicht weit früher zu beenden. Zur Illustration der inflationären Entwicklung hier die Kurse des US-Dollars zur Mark1:

1914        4,28 M
1918        5,92 M
1919      15,58 M
1920      63,93 M
1921    104,57 M
1922 1.885,78 M

Für 1923 gibt es keine solchen Zahlen, da Durchschnittswerte nichts mehr ausgesagt hätten. Diese gesamten Jahre waren gekennzeichnet von massiven gewalttätigen Übergriffen und Attentaten.2

Unterschiede zur heutigen Situation

Was sind die Unterschiede zur heutigen Situation? Zwar besteht heute wie damals eine hohe Verschuldung des Staates, der Unternehmen und der Konsumenten. Deutschland und „Euroland“ sind aber nicht in ausländischer Währung verschuldet. Die Staaten verschulden sich am Kapitalmarkt, nicht bei der Zentralbank. Kreditgeber sind also potente Investoren, die bereit sind, Staatsanleihen abzunehmen und diese somit als hinreichend sichere und rentable Anlagemöglichkeiten für ihre Geldvermögen ansehen.

Im Gegensatz zu damals haben wir sehr niedrige Zinsen: Die Kreditzinsen der Geschäftsbanken liegen teilweise unter 1%, die Einlagenzinsen häufig bei 0%, und die EZB erhebt Negativzinsen auf die Einlagen der Geschäftsbanken. Außerdem bleibt die Inflation seit Jahren unter dem Inflationsziel der EZB von „unter, aber nahe 2%“. Allerdings gab es massive Preissteigerungen bei Immobilien („asset price inflation“).

Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte sehr große Not, während wir heute teilweise eine wirtschaftliche Sättigung erreicht haben. Auch in Corona-Zeiten ist die Versorgungslage nicht so desaströs wie nach dem damaligen Kriegsende. Auch die politische Instabilität war – insbesondere durch das Erstarken der Rechten – in der Weimarer Republik deutlich größer als heute. Kein Land der Eurozone ist heute in einer dermaßen schwierigen Lage.

Aktuelle Gefahr

Was sind die Gefahren in der heutigen Situation? Gefährlich ist vor allem die bereits sehr hohe Gesamtverschuldung mit den zugehörigen großen Guthabenbeständen, die extrem ungleich verteilt sind: Eine kleine Minderheit der Bevölkerung hält die Guthaben, die Schulden dagegen belasten über Steuern (Staatsschulden), Produktpreise (Unternehmensschulden), Mieten (Immobilienpreise) und Privatkredite den weniger vermögenden Teil der Bevölkerung wesentlich stärker. Diese extrem ungleichen Vermögensverhältnisse bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ganz besonders wenn aufgrund der drastischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektionen eine allgemeine und wirtschaftliche (teilweise existenzielle) Verunsicherung herrscht.

Effektive Negativzinsen brauchen Bargeldgebühr!

Aus ökonomischer Sicht ist auf jeden Fall ein gleichzeitiges Abschmelzen der bereits bestehenden Guthaben und Schulden durch einen negativen Zins der Zentralbank erforderlich. Die Geschäftsbanken müssen diesen Negativzins flächendeckend an die Einleger weitergeben. Wirklich spürbar wird diese Maßnahme der Geschäftsbanken bei großen Sichtguthabenbeständen3, während mindestens 50 Prozent der Bevölkerung überhaupt keine großen Sichtguthabenbestände haben und daher kaum belastet werden! Der Negativzins muss effektiv sein, also deutlich mehr als die bisherigen -0,5 %. Damit dann bei Weitergabe durch die Geschäftsbanken nicht sofort die Flucht ins Bargeld einsetzt, braucht es dringend Regelungen für die Einführung einer Bargeldgebühr!

 

Fußnoten:

1 Veröffentlichung der Bundesbank, Durchschnittswerte der Dollarkurse 1908 bis 1951
2 www.weimarer-republik.net/themenportal/chronik-1918-bis-1933/1920/> und weitere Jahre
3 www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldanlage-sparkassen-ralf-fleischer-1.4895396
Bei der Stadtsparkasse München haben 90% der Kunden weniger als 100.000 € Sichtguthaben. Ab 250 000 Euro aufwärts wird ein „Verwahrentgelt“ genommen; auf Giro- oder Tagesgeldkonten liegen insgesamt mehr als zwölf Milliarden Euro.