Déjà-vu

Silicon Valley Bank, Credit Suisse, Bankenrettung. Wieder mal beben die Finanzmärkte. Zuerst heißt es, es sind nur mittelgroße Banken in den USA betroffen. Nun die Schweizer Großbank CS, global systemrelevant. Wackelt das weltweite Finanzsystem mit schwerwiegenden Folgen für uns alle? Und wer zahlt unter dem Strich die Rechnungen?

Die Insolvenz der amerikanischen Silicon Valley Bank weckt aktuell Erinnerungen an die Lehman-Pleite im September 2008, die für viele als Startpunkt der großen Finanzkrise gilt. Entsprechend groß sind jetzt die Sorgen und Befürchtungen, die nächste große Finanzkrise stünde bevor, schreibt die Fairconomy-Redakteurin Beate Bockting. Im Sommer 2007 stiegen die Zinsen für den Interbankenhandel und brachten damit eine Lawine ins Rollen. Seit Januar 2022 ist der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft im Euro-Raum von 0,00% auf 3,5%, so schnell wie nie zuvor, angestiegen. Die US-Notenbank hob den Leitzins auf 4,75 bis 5,0 Prozent an. Vor gut einem Jahr lag er noch bei nahe Null. (Handelsblatt Morning Briefing) Die Dekade historisch niedriger Zinssätze wurde von verschiedenen Zentralbanken mit einer geradezu panischen Gegenreaktion konterkariert.

Die abrupte Zinswende hat für Staaten, Institutionen und die Bürger dramatische Konsequenzen. Doch den Verlierern im internationalen Finanzpoker stehen immer auch Gewinner und Nutznießer dieser Geldpolitik gegenüber. Erwähnung finden diese im allgemeinen Medienrummel nicht. In den Kommentarspalten werden die üblichen Nebelkerzen gezündet. Das Narrativ von den plötzlich steigenden Rohstoffpreisen und der von Putins Krieg getriebenen Inflation ist schlicht falsch. Die Behauptung eines plötzlichen Inflationsschocks ist eine Lüge. Und auch den vermeintlich alternativlosen Anstieg der Zentralbank-Zinssätze, als Reaktion auf die Inflation, kann man nur als Propagandalüge begreifen. Wissenschaftlich und technokratisch gab und gibt es durchaus andere Maßnahmen zur Stabilisierung einer Währung.

Versäumnisse und Fehler
Die EZB und andere Notenbanken haben in der Phase sinkender und niedriger Zinssätze die Ausweitung der Geldmenge über jedes Maß hinaus vorangetrieben. Zusätzlich haben sie die für einen funktionierenden Geldmarkt notwendige Zinsstruktur praktisch liquidiert. Als sich die langfristigen Zinssätze vor ca. zehn Jahren der Nulllinie näherten, haben es die Notenbanken unterlassen, angemessene Liquiditätskosten auf Bargeldbestände einzuführen. Nicht nur die Schweizer Zentralbank hat die »Flucht ins Bargeld« (faz) tatenlos hingenommen. Dadurch war es ab 2015 nicht mehr möglich, die Zentralbankzinssätze in der notwendigen Weise weiter abzusenken. Folglich minimierte sich die Differenz zwischen kurzfristigen und langfristigen Geldanlagen. Die Geschäftsbanken konnten Kredite nicht mehr in dem Volumen vergeben wie ihre Einlagen zunahmen und der Interbankenhandel wurde zunehmend durch Geschäfte mit der Notenbank ersetzt.

Weil die Umlaufgeschwindigkeit der ausgegebenen Geldmenge von Monat zu Monat abnahm, erhöhten die Notenbanken durch Ankäufe von Anleihen die Geldmenge in absurdem Umfang. Alleine im Euroraum wurden 7 Billionen Euro an täglich fälligen Einlagen gehalten. Institute wie die »Silicon Valley Bank« aber auch deutsche Sparkassen haben diese Einlagen oder genauer formuliert diese „Nicht-Anlagen“ notgedrungen in minimalverzinste Wertpapiere investiert, die ihnen heute gewaltige Bilanzverluste verursachen. Allein die deutschen Sparkassen mussten 2022 acht Milliarden Euro an Wertverlusten abschreiben (manager magazin).

Für die Geldinstitute, aber auch für die Preisstabilität an sich, ist das Volumen der täglich fälligen Einlagen zu einem maßgeblichen Risikofaktor geworden. Über die Fristentransformation konnten Geldinstitute in den zurückliegenden Jahrzehnten überschaubare Differenzen zwischen langfristigen Ausleihungen und kurzfristigen Einlagen ausgleichen. Heute wird diese Diskrepanz fast ausschließlich durch immer neues Zentralbankgeld ausgeglichen. Durch das Versäumnis der Notenbanken, Haltegebühren zu erheben und so die Attraktivität und das Volumen kurzfristiger Einlagen zu reduzieren, besteht für viele Geldinstitute jederzeit das Risiko eines Bankruns mit ruinösen Konsequenzen.

Im Falle der Credit Suisse kam hinzu, dass das Verhältnis von soliden Kreditnehmern und den Einlagen aus dem Ruder gelaufen ist. Die Bank hatte zu viel Geld zur Verfügung und hat es in zwielichtige oder riskante Geschäfte gesteckt. Auch dies ist eine Folge der falschen Geldpolitik. Die Notenbanken habe über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt, dass die Geldmenge deutlich schneller wächst als das Bruttosozialprodukt. Eine konsequente Minuszins-Politik könnte für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Kreditangebot und Kreditnachfrage sorgen.

Phantasielos aber nicht alternativlos
Was stattdessen heute geschieht ist für den gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbar. »Es ist ein Witz, dass die US-Banken nun die im Wert verminderten Anleihen gegen Nennwert bei der Fed, die ja durch die Zinssteigerungen den Wertverlust selber mit verursacht hat, beleihen dürfen gegen Liquidität. Außerdem übernimmt die Einlagensicherung bei den in Schwierigkeiten geratenen Banken mehr als die eigentlich gesicherten 250.000 Dollar«. Wieder mal zahlt die Allgemeinheit um die Gewinne Einzelner abzusichern, lautet das Urteil von Frau Bockting.

Der Finanzfachmann Steffen Henke stellt fest: »Die Zentralbanken sitzen [...] in der Falle. Kaufen sie weiter mit neu gedrucktem Zentralbankgeld Staatsanleihen im beachtlichen Umfang an, befeuern sie die Inflation. Steigende Inflationsraten zerstören immer schneller den Wert des Geldes. Beenden sie die Anleiheankaufprogramme und erhöhen sie die Leitzinsen, um die Inflationsraten unter Kontrolle zu bekommen, steigen die Zinsen für Staatsanleihen. Die Staatshaushalte der stark überschuldeten Länder würden mit den Zinszahlungen schnell überfordert sein, Staatspleiten wären die Folge. Die Insolvenz eines Landes der Eurozone würde den Euro extrem belasten.« Henke kommt zu dem Schluss: »Mit Fließendem Geld wäre das nicht passiert«.

Anstatt die Zentralbankzinsen auf einem Niveau unterhalb der realen Wachstumsraten zu stabilisieren, treiben Notenbanken mit steigenden Zinssätzen immer wieder sowohl die Inflation als auch die Instabilität des gesamten Geldsystems voran. »Die Investmentbank Morgan Stanley schätzt, dass die kombinierte Bilanzsumme von Federal Reserve, Europäischer Zentralbank, Japans Notenbank und der Bank of England Ende 2020 rund 29 Billionen Dollar betragen haben dürfte – was eine Verdoppelung gegenüber dem Umfang von Ende 2019 darstellt.« Alternativlos war und ist dieses Vorgehen keineswegs. „Alternativlos“ ist in diesem Zusammenhang bestenfalls eine Umschreibung für „phantasielos“. Ein Schelm, der böse Absichten oder verdeckte Interessen hinter diesem Handeln vermutet. Oder, um es mit Shakespeare auszudrücken: »Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode.«

Lesen Sie hierzu auch: »Zentralbanken könnten Negativzinsen weiter senken (IMF-Studie)« und »The Economist titelt "Free money" (Freigeld)«

Klaus Willemsen, 21.03.2023


Verwendete Quellen:

https://www.manager-magazin.de/unternehmen/sparkassen-knapp-8-milliarden-euro-abschreibungen-auf-wertpapiere-a-78148555-c859-43f1-a199-27474b048878

https://www.faz.net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/schweizer-anleger-negativzins-mit-bargeld-horten-entgehen-13574453.html

https://www.neuesgeld.net/index.php?option=com_k2&view=item&id=338:lage-an-den-anlagemaerkten&Itemid=101

https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/508653/Flucht-ins-Bargeld-Weltweit-werden-so-viele-Dollar-gehortet-wie-nie-zuvor

https://www.inwo.de/medienkommentare/zentralbanken-koennten-negativzinsen-weiter-senken-imf-studie.html

https://www.inwo.de/medienkommentare/the-economist-titelt-free-money-freigeld.html