»Der Kapitalismus verwandelt die Demokratie in einen Feudalstaat«

Journalist und Ökonom Norbert Häring beschreibt diese Entwicklung als Analyse und als Mahnung. Sein neues Buch macht unmissverständlich klar, wie Kapital- und Machtkonzentration die Existenz liberaler und demokratischer Gesellschaften bedrohen.

»Kapital, das sind (…) die – materiellen und immateriellen – Mittel, welche die künftigen finanziellen Erträge generieren helfen. Dabei handelt es sich weitgehend um Rechte, Vorrechte, Sonderrechte. Häring definiert Kapital deswegen als „Wert aller Rechte, die sich bewerten und in eine Bilanz schreiben lassen“ (96). Etwas ausführlicher und präziser: „Das Kapital ist der Gegenwartswert künftiger Erträge aus staatlich gewährten und durchgesetzten Vorrechten“ (178).« Dieses Zitat stammt vom ehemaligen Berner Ethik-Professor Thomas Kesselring und findet sich auf dem Nachrichtenportal »Infosperber.ch«. Kesselring stellt hier das neue Buch des Wirtschaftspublizisten Norbert Häring »Endspiel des Kapitalismus« vor.

Häring bietet in seiner Analyse einige interessante und sehr grundlegende Thesen an. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Kapital – also das Recht, durch meinen Besitz Zugriff auf die Arbeitsleistung dritter zu haben – von Juristen mit Macht und Einfluss definiert und durchgesetzt wird. Kesselring beschreibt das so: »Rechte gehören zu dem, was die Betriebswirtschaftslehre als immaterielle Vermögenswerte oder „intangibles“ bezeichnet. Häring schätzt diese bei grösseren Unternehmen auf vier Fünftel des Marktwertes und die materiellen Produktionsmittel auf nur noch zwanzig Prozent (122) oder manchmal noch viel weniger.«

Was ist Kapital?
Kesselring und Häring gehen davon aus, dass Kapital keiner materiellen Form (auch nicht in Form von Finanzkapital) bedarf. »Der Wandel des Kapitalismus ist kein Zufall. Im digitalen Zeitalter sind die Grundlagen für die Generierung von Mehrwert immateriell: Daten, Information, Wissen. In der Industriegesellschaft war es die produktive Maschine, in vorindustrieller Zeit der Boden.« Letzteres jedoch ist die Schwachstelle ihrer Analyse. In der Überschrift bezieht sich Kesselring auf die Bedeutung des Bodens. »Der Kapitalismus verwandelt die Demokratie in einem Feudalstaat«, schreibt er. Der Feudalstaat ist laut Duden eine »auf dem Lehnsrecht aufgebaute Wirtschafts- und Gesellschaftsform, in der alle Herrschaftsfunktionen von der über den Grundbesitz verfügenden aristokratischen Oberschicht ausgeübt werden«. Mit Verweis auf das Vermögen von Bill Gates hebt er hervor, dass dieses nicht an materielle Werte gebunden ist. Er lässt aber außer acht, dass dieses Vermögen mittlerweile maßgeblich in Boden (Ackerland) und Firmenbeteiligungen investiert wurde.

Wem gehört der Boden wem gehört der Bodenertrag?
Kapitalismus ist heute sicherlich mehr als die Rendite aus Finanzkapital und Bodeneigentum. Patente, Datenbanken und Netzmonopole sind die Basis für Kapitalakkumulation und Machtkonzentration. Das Bodeneigentum ist jedoch auch weiterhin in jedweder Dimension Grundlage der Ausbeutung, sprich der Umverteilung von Arbeitsertrag auf die Konto von Besitzenden. Weltweit „erbeuten“ Konzerne und Investmentfonds immer größere Ländereien. Millionen Landbesitzer werden „beraubt“ oder „enteignet“, oft ganz legal nach den Gesetzen des Kapitals. Gleichzeitig haben sich die Bodenwerte vervielfacht und damit die Erträge des „Landadels“. Grundbesitz ist eine Säule für dauerhaften Reichtum. Auch wenn es aktuell weitere bedeutende Quelle gibt um ohne Arbeit reich zu werden.

Monopole und andere Beschränkungen der Marktwirtschaft
Kesselring schreibt dazu: »Ein Patent schafft ein Monopol. (…) ›Für kleine und mittlere Unternehmen sind Branchen mit solchen Patentdickichten ein kaum noch betretbares Minenfeld‹.« Und er hebt zurecht hervor, dass diese Entwicklung nicht zwangsläufig sind, sondern von gewählten Politikern in Regierungen und Parlamenten bewusst gefördert und in Kauf genommen werden. Kesselring zitiert Häring wie folgt: »Denn die erwähnten Strategien fördern alle die Bildung von Oligopolen und Monopolen. Der Staat hätte sie verbieten können, aber stattdessen hat er sie abgesegnet. ›Ohne staatlich definiertes, gewährtes und garantiertes Eigentumsrecht gäbe es keinen Kapitalismus‹ (178).«

Das Recht der Menschen auf den vollen Arbeitsvertrag
Kesselring schreibt weiter: »Häring spricht in einer vierten zentralen These eine Befürchtung aus: „Die Schöne neue Welt nach dem Kapitalismus ist eine Art neuer Feudalismus“ (219).« Und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Wer die Demokratie, die Freiheit und den Rechtsstaat retten will, muss die Verfügungsgewalt über den Boden und die Bodenerträge für die Gesamtheit der Bürger gewinnen. Der demokratische Rechtsstaat muss sich der Ausplünderung durch private Investoren erwehren. Es geht darum, die Bodenrente abzuschöpfen und zu gleichen Teilen allen Menschen zukommen zu lassen.

Lesen Sie hierzu auch: »Der neue Feudalismus«, »Mauer des Schweigens« und »The day after: Grund-solidarisch aus der Corona-Krise!«


Klaus Willemsen, 27.01.2022

 

Verwendete Quellen:

https://www.infosperber.ch/wirtschaft/uebriges-wirtschaft/der-kapitalismus-verwandelt-die-demokratie-in-einen-feudalstaat/

Norbert Häring: »Endspiel des Kapitalismus – Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen«, Quadriga-Verlag 2021, 34.90 CHF;