Eine bedeutende Freiwirtschaftlerin hat uns verlassen

Mit großer Bestürzung erreichte mich am 4. Mai die Nachricht, dass Beate Bockting in den frühen Morgenstunden des 3. Mai ihrem Krebsleiden erlag. Meine Trauer hält bis heute an. Als Beate etwa drei Wochen vor ihrem Fortgang auf die Palliativstation ging, weil sie die Schmerzen nicht mehr aushielt, war uns im Vorstand der INWO natürlich klar, dass sie wohl nicht mehr lange leben würde, dennoch wollten wir es nicht wirklich wahrhaben und haben versucht, es irgendwie zu verdrängen. Zwei Wochen vor ihrem Tod hatte sie noch per Videoschaltung an der letzten INWO-Mitgliederversammlung vom Hospiz in Münster aus teilgenommen. Anschließend telefonierten wir noch und sprachen über Zukunftsprojekte der INWO. Dies war das letzte Gespräch, das ich mit ihr führte. Mit keinem Wort erwähnte sie ihre Krankheit oder etwaige Schmerzen, die sie aber natürlich gehabt haben muss. Auch verabschiedeten wir uns ganz normal, so als ob wir uns zu jeder Zeit wieder sprechen könnten. Auch zuvor hörte ich sie nie klagen.

Beate war eine beneidenswert starke Frau, alleinerziehende Mutter und gute Freundin. Dass sie sich irgendwann mit Geldtheorie beschäftigen würde, hätte Beate sich als Studentin sicher kaum erträumen können. Sie hatte Anglistik, Niederlandistik und Politikwissenschaften in Münster studiert, kam dann aber Mitte der 1990er Jahren zu dem Thema der Geld- und Bodenreform, das von da an ihr Herzensanliegen wurde. Insbesondere, so sagte sie, ließ sie sich von den Texten und Vorträgen von Helmut Creutz und Margrit Kennedy inspirieren. Sie arbeitete sich so sehr in das Thema ein, dass sie zu einer wahren Expertin der Geld- und Wirtschaftspolitik wurde. Diese Expertise ermöglichte ihr, auf Augenhöhe mit Wissenschaftlern und anderen Experten der Geld- und Fiskalpolitik sowie Notenbankern zu kommunizieren und diskutieren.

Beate übernahm um die Jahrtausendwende für ein paar Jahre die Bewirtschaftung der Wuppertaler „Silvio-Gesell-Tagungsstätte“. Sie trat der INWO International (mitlerweile aufgelöst) und damit der INWO Deutschland, bei. Beate wurde damals für einige Jahre in den Vorstand der INWO Deutschland gewählt.

Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sie eine ganz wesentliche Triebfeder der INWO in den letzten 20 Jahren war. Sie leitete die Redaktion der Zeitschrift „Fairconomy“, das Aushängeschild der INWO Deutschland. Unter Ihrer Federführung entstand die Zeitschrift aus der Vorgänger-Zeitschrift „r-evolution“. Als Redakteurin profitierte sie von ihrem klaren, schnörkellosen und präzisen Schreibstil. Sie verbesserte nicht nur regelmäßig die eingereichten Beiträge sprachlich sowie inhaltlich, sondern schrieb selbst auch unzählige Artikel. Alle waren immer hervorragend recherchiert.

Beate war stets auf dem neuesten Stand, was die internationale Geldpolitik angeht, und erkannte, dass negative Zinsen, wenn sie denn auch auf Bargeld angewendet würden, dem Freigeldgedanken Silvio Gesells nahekommen. Wie man die sogenannte Null-Untergrenze (engl. zero lower bound) durchbrechen könnte, war bis zum Frühjahr 2022 ein wichtiges Thema in der internationalen Geldtheorie und -politik. Gesells Vorschlag für ein Freigeld liefert hierfür eine Lösung. Beate nutzte die Gelegenheit und knüpfte Kontakte zu Notenbänkern und zahlreichen Wissenschaftlern z.B. der Broockings-Institution in den USA oder des Internationalen Währungsfonds, um diesen Gesells Vorschlag nahezubringen. Zu ihren Kontakten zählten unter anderen Willem Buiter, mit dem sie zuweilen auch auf Niederländisch kommunizierte, Kenneth Rogoff, sowie IWF-Workingpaper-Autoren Miles Kimball, Ruchir Agarwal, Signe Krogstrup, Katrin Assemnacher. Hier kamen ihr ihre hervorragenden Englischkenntnisse zugute.

Beate leitetet nicht nur unsere Zeitschrift Fairconomy sondern schrieb bis zuletzt regelmäßig eine Kolumne in der Frankfurter Rundschau, und nutzte diese Plattform, um Menschen für eine Geld- und Bodenreform im Sinne Silvio-Gesells und für die INWO zu begeistern. Ihre letzte Kolumne ist vom 21. Februar 2023. All dies schaffte sie in Teilzeitarbeit, während sie in der Geschäftsführung von „Draußenzeit“ arbeitete, einem pädagogischen Verein, der Kinder und Jugendlichen versucht, für die Natur zu begeistern.

Beate war von 2015 bis 2023 wieder im Vorstand der INWO. In dieser Position brachte sie Ideen und Initiativen ein und kümmerte sich vor allem darum, dass diese auch umgesetzt wurden. Sie half bei der Organisation der Mitgliederversammlungen und beim Schreiben der Vorstandsberichte, schrieb Briefe an Bundestagsabgeordnete oder breitetet diese vor, so dass ich sie praktisch nur noch unterschreiben brauchte, sie organisierte Seminare, nahm an Konferenzen Teil und vernetzte. Ihr war es stets ein Anliegen, zu den anderen Organisationen und Bewegungen, die das Geldsystem kritisch hinterfragen, wie z.B. Monneta, den Vertretern der MMT, der pluralen Ökonomie oder Regionalgeldinitiativen im Austausch zu bleiben. So konnten wir 2019 an einer Konferenz sowie in einem zweitägigen Seminar in Berlin bei der GLS Bank mit Vertretern dieser Organisationen teilnehmen. Es ist gerade dieses große, wunderbare Netzwerk, das Beate pflegte, welches wir nur schwer werden aufrechterhalten können.

Zuletzt war die Vergabe eines „Gesell-Preises“ von ihr angedacht und geplant. Dieser Preis sollte an Nachwuchswissenschaftler ausgelobt werden. Das Ziel ist, dass Silvio Gesells Vorschläge in der Wissenschaft noch mehr Beachtung finden. Dieses Projekt konnte aufgrund Beates nachlassender Kräfte leider bisher nicht zu Ende gebracht werden. Auch hier hinterlässt sie uns eine große Aufgabe und Herausforderung.

Beate hatte eine angenehme Persönlichkeit. Geduld, Freundlichkeit, Güte, Sanftmut und Bescheidenheit zeichneten sie aus. Sie mochte nicht gerne im Rampenlicht stehen. 2017 fragte sie mich, da war ich noch nicht einmal Mitglied der INWO, ob ich für den Vorstand der INWO kandidieren wolle. Sie überlies mir die Position des ersten Vorsitzenden. Zuvor hatte ich nur wenig Kontakt mit Beate gehabt, wir kannten uns bis dahin nur aufgrund ihrer Tätigkeit als Redakteurin der Fairconomy. So stand ich seit 2011, seit meinem ersten dort erschienenen Artikel in E-Mail-Kontakt mit ihr. 2013 trafen wir uns einmal in einem Café in Münster und auf der Perspektiven-Tagung in Essen. Erst durch die gemeinsame Arbeit im Vorstand der INWO haben wir uns dann wirklich kennen gelernt. Häufig gab es INWO-Vorstands-Treffen bei Ihr in Greven, zuletzt noch im Januar, stets in sehr angenehmer Atmosphäre. Beate vermochte durch ihre ausgeglichene und ausgleichende Persönlichkeit zwischen verhärteten Positionen zu integrieren und zu vermitteln. Daher waren die Treffen stets fruchtbar und halfen, den Vorstand zusammen zu halten und gemeinsame Positionen zu finden.

Beate hinterlässt eine enorme Lücke in der deutschsprachigen Freiwirtschaftsbewegung, die nur schwer zu füllen sein wird. Beate verstarb übrigens zu einer besonderen Uhrzeit: um 3:00 Uhr morgens. Das ist die Uhrzeit der göttlichen Barmherzigkeit und gibt mir die Hoffnung, dass sie in der Gnade Gottes entschlafen ist. Beate wurde nur 54 Jahre alt. Sie hinterlässt zwei Söhne, Ruben (21) und Valentin (12).

Felix Fuders
Valdivia, 26.05.2023

Einen weitereren Nachruf, der andere Aspekte aus Beate Bocktings Leben beleuchtet, hat INWO-Kommisionsmitglied Werner Onken verfasst.