Der Ausgangspunkt seiner Analyse ist die Überzeugung, dass der Staat Schulden machen muss, um Krisenentwicklungen zu beheben. Er schreibt: »Dieses Vorgehen in Krisenzeiten, private Ersparnisse zu mobilisieren, um eine noch tiefere Krise zu verhindern und eine schnelle Erholung möglich zu machen, ist eine zentrale Aufgabe des Staates«. Dazu müsste man ergänzen, dass eine maßgebliche Ursache der Krise darin besteht, dass private Geldvermögen keine ausreichenden Anreize haben, investiert oder konsumiert zu werden. Es ist das Defizit in der Geldpolitik, das die staatliche Schuldenaufnahme notwendig macht. Nur wegen dieses fehlenden Investitionsanreizes ist seine folgende Bewertung plausibel: »Staatsschulden in solchen Krisen sind daher keine schlechten, sondern gute Schulden, weil sie kurzfristig und langfristig den Wohlstand einer Gesellschaft erhöhen«.
Vergleicht man die 4 bis 5 Billionen Euro Geldvermögen, die derzeit gehortet werden, mit allen staatlichen Investitionsprogrammen, liegt auf der Hand, dass staatliche Schuldenprogramme keinesfalls ausreichend sein können, um die fehlende Investitionsbereitschaft des Finanzkapitals zu kompensieren. In diesem Punkt verführt der Beitrag daher zu einer falschen Schlussfolgerung: »Außerdem werden die 200 Milliarden Euro nicht ausreichen, um die Wirtschaft genügend zu stabilisieren. Die Politik wird nachlegen müssen, um die ökologische und wirtschaftliche Transformation möglich zu machen, ohne die unsere Wirtschaft verheerenden Schaden nehmen würde – ganz zu schweigen vom Klima«.
Die unklare Formulierung »Politik wird nachlegen müssen« ist sehr bedauerlich. Natürlich muss »die Politik nachlegen«, aber eben nicht mit immer höheren Schuldenbergen. Die Politik muss die Voraussetzung schaffen, dass die spekulative Geld-Zurückhaltung unrentabel wird. Der Autor schreibt ja weiter unten unmissverständlich, dass es eben darauf ankommt, die privaten Geldvermögen zu aktivieren: »Die Frage ist jedoch auch, wieso der Staat die Wirtschaft in Krisenzeiten so stark stabilisieren muss, wenn so viel Erspartes vorhanden ist. Und wieso vor allem der private Konsum so stark einbricht. Wäre es nicht besser, dass statt des Staates Menschen und Unternehmen selbst ihre Ersparnisse in Krisenzeiten nutzten, um höhere Ausgaben zu finanzieren? Die Antwort ist ein klares Ja«. An dieser Stelle wäre ein deutlicher Hinweis auf eine Geldgebühr notwendig. Eine Gebühr, die aus gehorteten Geldbeständen Investitionen in die Zukunft macht.
Staatsschulden oder Minuszinsen
Eine Geldgebühr als Einstieg in eine konstruktive Minuszins-Politik ergibt sich beinahe zwingend aus einer weiteren Forderung der Fratzscher-Analyse: »Eine Möglichkeit, um die Entlastungspakete und Abwehrschirme zu finanzieren, wäre daher, dass der Staat sich einen Teil dieser riesigen privaten Ersparnisse leiht, um sie dann durch Steuersenkungen, Einmalzahlungen oder andere Hilfen wieder an die Menschen und Unternehmen zurückzugeben. Damit ließe sich die Schwäche bei Konsum und Investitionen teilweise kompensieren – in der Hoffnung, dass dieses Geld den Lebensstandard möglichst vieler Menschen und somit die private Nachfrage stabilisiert«. Dieser durchaus notwendige Verteilungseffekt tritt ja nur ein, wenn die ausgeliehenen Geldvermögen nicht durch Zins- und Zinseszinszahlungen mehr Kaufkraft bei den Vermögenden erzeugen als bei der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Eine positive Verzinsung der Geldvermögen würde letztlich die Summe der gehorteten Geldvermögen vergrößern, die dann wiederum durch hohe Zinszahlungen aktiviert werden müssen. Ein Teufelskreis, den man seit Jahrzehnten - nein seit Jahrhunderten - betreibt und Kapitalismus nennt.
Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, stellt unmissverständlich fest: »Ein großes Problem für Wirtschaft und Gesellschaft ist, dass die hohe Ungleichheit und die Zunahme der Ersparnisse jetzt den privaten Konsum massiv schwächen«. Eine Gebühr auf das Horten großer Geldbestände als Basis einer Minuszins-Politik, wie die INWO sie fordert und begründet, löst auch dieses Problem. Die privaten Geldvermögen wachsen nicht mehr von alleine. Gleichzeitig werden die Schulden und Investitionen von Unternehmen und öffentlichen Haushalten leichter tragbar und rückzahlbar. Minimierte Zinslasten schaffen Spielraum für steigende Löhne.
Steigende Zinsen dagegen führen zu höherer Inflation, Zunahme der Insolvenzen und rückläufiger Kaufkraft bei allen, die nicht von ihren Kapitaleinkünften leben. Die Konsequenz, die auch Fratzscher sieht: »Die wirtschaftliche Erholung könnte deutlich länger dauern und dauerhaften Schaden anrichten, denn Menschen werden lange brauchen, um ihre Verschuldung zu reduzieren und den Konsum wieder zu erhöhen«.
Es braucht eine konstruktive Geldpolitik
Als Appell an die Politik formuliert Marcel Fratzscher Folgendes: »Es ist die Aufgabe des Staates, diese riesigen privaten Ersparnisse in Deutschland zu mobilisieren, im Sinne von Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen« und der »Staat sollte zudem vor allem kleine und mittlere Unternehmen stärker unterstützen, um durch diese Krise zu kommen«. Beides kann gelingen, wenn man auf europäischer Ebene die von Mario Draghi (als EZB-Präsident) eingeschlagene Negativzins-Politik wieder aufgreift und weiterentwickelt. Mit steigenden Zinsen und steigender Inflation wird dies nicht gelingen.
Lesen Sie hierzu auch: »Zentralbanken könnten Negativzinsen weiter senken (IMF-Studie)«, »Ein Hoch der Negativzinspolitik in der FAZ« und »Warum ich für die Bargeldgebühr bin«.
Klaus Willemsen, 02.11.2022
Verwendete Quellen:
https://www.inwo.de/medienkommentare/ein-hoch-der-negativzinspolitik-in-der-faz.html
https://www.klaus-willemsen.de/2020/05/03/warum-ich-fuer-die-bargeldgebuehr-bin/