»„Das System funktioniert nur, wenn wir weiterwachsen — ob wir wollen oder nicht“«, behauptet Mathias Binswanger, 56, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, in seinem Buch »Der Wachstumszwang«. Olaf Wittrock hat ihn für „Brandeins“ dazu interviewt und entscheidende Fragen aufgeworfen: »Warum steigen Gewinne, Gehälter und der Konsum immer weiter? Wieso ist es nie genug?«
Vollmundig wird dem Leser versprochen: »Antworten gibt der Ökonom Mathias Binswanger«. Zwar weiß der Professor dazu auch viel zu sagen, doch die entscheidende Begründung, warum unser System ständig wachsen muss, bleibt er seinen Lesern schuldig. Binswanger erklärt, warum die Firmenbosse exorbitante Gehälter generieren können und warum in Krisenzeiten die Spekulation ins Kraut schießt.»Letztlich beruhten die Renditen (gemeint sind hier 25 %) auf spekulativen Blasen, zum Teil an der Börse, zum Teil auf dem Immobilienmarkt. Die Realwirtschaft allein kann auf Dauer niemals für Renditen in einer solchen Größenordnung sorgen.«. Und weiter heißt es dort: »Zeiten spekulativer Blasen waren immer auch Zeiten, in denen exorbitante Gehälter für Topmanager bezahlt wurden«. Diese Auswüchse lenken jedoch ab vom eigentlichen Fehler im System. Wie die Überschrift richtig ausdrückt, muss unser Wirtschaftssystem permanent wachsen, ob Konsumenten, Politiker oder Wirtschaftslenker dieses wollen oder nicht.
Auch Binswanger gelingt es nicht, nachvollziehbar zu erklären, warum eine reiche Gesellschaft ihre Wirtschaftsleistung jährlich um 2 bis 3 Prozent steigern muss, um gravierende Verarmungsprozesse großer Teile der Bevölkerung zu vermeiden. Mathias Binswanger schreibt zurecht: »In der kapitalistischen Wirtschaft kann kein Unternehmen längerfristig Verluste machen, sonst verschwindet es vom Markt.« Doch nahtlos behauptet er weiter: »Gewinne sind aber für die Mehrheit der Unternehmen nur möglich, solange es Wachstum gibt. Das heißt, das Wachstum der Wirtschaft ist eng gekoppelt daran, dass der Unternehmenssektor insgesamt stets Gewinne erzielen kann.« Dies jedoch ist eine Behauptung, die er mit einer weiteren, nicht zutreffenden, Behauptung zu begründen versucht. Tatsächlich können Familienunternehmen oder Genossenschaften auf Dauer ohne Gewinnausschüttung arbeiten, sofern sie kein Fremdkapital bedienen müssen und auf eigenem Grund und Boden wirtschaften. Sogar etliche der größten US-amerikanischen Konzerne haben aktuell angekündigt, Dividendenzahlungen auszusetzen. Sie können dies tun, weil auch am Kapitalmarkt seit 20 Jahren minimale Renditen erzielt werden. Selbst für Konzerne, die über Jahre hinweg Verluste generieren, ist daher die Gefahr eines existenzbedrohenden Kapitalabflusses derzeit sehr gering. Ursächlich ist das gewaltige Überangebot am Kapitalmarkt und das damit zusammenhängende niedrige Zinsniveau.
Binswanger behauptet weiter: »Wenn Unternehmen keine Gewinne mehr machen, verschwinden sie vom Markt. So steigt die Arbeitslosigkeit. Dann geht der Konsum zurück. Weitere Unternehmen bekommen Probleme, die wiederum weniger investieren. Wir geraten also in eine Abwärtsspirale.« Dieses, durch die Realität längst überholte, Postulat aus dem letzten Jahrhundert, ist schlicht falsch. Verkürzt kann man festhalten, Unternehmen gehen pleite, wenn sie die am Kapitalmarkt verlangte Rendite nicht erwirtschaften können. Wenn diese Renditeforderung auf unbestimmte Zeit jedoch bei Null liegt oder sogar negativ ist, braucht ein Unternehmen keine Überschüsse zu erzielen und nicht zu expandieren. Und wenn man diesen Ansatz konsequent weiterverfolgt, ergibt sich folgendes Szenario: Bei einem Kapitalmarktzins von null oder darunter entfällt der volkswirtschaftliche Zwang, permanent Wachstum zu generieren. Egal ob Bedürfnisdeckung oder Bedürfnisweckung die Triebfeder sind, die Politik wird dann frei, den gesetzlichen Rahmen an die ökologischen Notwendigkeiten anzupassen.
Binswanger junior unterläuft ein folgenschwerer Fehler wenn er unterstellt: »Wir müssen immer weiter wachsen, damit wir nicht zu schrumpfen beginnen. Und der wichtigste Motor dieses ganzen Wachstums sind die börsennotierten Aktiengesellschaften.« Der Motor sind nicht die Gesellschaften. Der Motor ist der Kapitalmarktzins. Und deshalb geht es darum, eine stabile Währung mit einem Zins um null zu gewährleisten.
Lesen Sie dazu bitte auch:»Effektivere Negativzinsen werden dringend benötigt«, »Niedrigzinspolitik sorgt für Beschäftigung und sichere Renten« und »Stabile Währung durch Haltegebühr auf Geld«.
Klaus Willemsen, 6.10.2019
Verwendete Quellen:
www.inwo.de/medienkommentare/effektivere-negativzinsen-werden-dringend-benoetigt/
www.inwo.de/medienkommentare/niedrigzinspolitik-sorgt-fuer-beschaeftigung-und-sichere-renten/
www.geldreform.eu/stabile-waehrung-durch-haltegebuehr-auf-geld/