Doch dann passiert Ihnen Unbegreifliches. Zitat: »Der Haken: In Silvio Gesells Theorie sorgt der Negativzins dafür, dass Geld sofort wieder ausgegeben oder investiert wird. Doch genau dieser Mechanismus ist in der Eurozone gestört. Die EZB verleiht zwar billiges Geld an die Geschäftsbanken - doch die reichen es oft nicht an ihre Kunden weiter.« Silvio Gesells Theorie beschreibt anschaulich, dass Geld bei zu niedrigen Zinssätzen gehortet wird. Dies geschieht heute in Form einer gewaltigen Ausweitung der Giralgeldmenge und in einer verstärkten Nachfrage nach Banknoten. Beide Phänomene werden seit Jahren beobachtet und beschrieben. Gesell und die INWO fordern daher, wie Sie Frau Bockting zitieren, eine »Haltegebühr auf Bargeld«. Mario Draghis Problem besteht genau darin, dass er noch keine Geldgebühr eingeführt hat, die die Flucht in die Liquidität angemessen verteuern würde. Daher ist es derzeit ökonomisch vernünftig, immer mehr Geld liquide zu halten, anstatt es auszugeben zu investieren oder eben langfristig anzulegen.
Zitat aus Ihrem Artikel: »Es gilt vor allem, alte Denkmuster zu vergessen.« Die Forderung nach hohem Wirtschaftswachstum, mit dem man hohe Zinserträge finanzieren kann, ist eines dieser alten Denkmuster. Für einen funktionierenden Geldmarkt braucht es eine effektive gespreizte Zinsstruktur. Damit unser Geld auch bei Kapitalmarktzinssätzen nahe null funktioniert, muss Liquidität etwas kosten. Die Geld- oder Liquiditätsgebühr ist daher ein plausibler Lösungsvorschlag. Man muss nicht das Wirtschaftswachstum an die Zinsforderungen anpassen. Es ist auch möglich, die Zinsstruktur dem realen Wirtschaftswachstum anzupassen.
Denkmuster überdenken
»Vor allem bei Krediten für Unternehmen in den Regionen Südeuropas liegen die Zinsen nach wie vor abschreckend hoch. Die Banken scheuen das Risiko solcher Darlehen, weil sie selbst noch an den Folgen von Finanz- und Schuldenkrise laborieren.« Das alternative Denkmuster lautet: Die Banken im Euroraum sitzen auf über sechs Billionen Euro kurzfristiger Einlagen, die sie langfristig ausleihen sollen. Dies erzeugt ein hohes Risiko, für das sie einen entsprechend hohen Zinsaufschlag nehmen müssen. Die hohen Zinsaufschläge belasten aber die Wettbewerbssituation der Kreditnehmer und vergrößern so das Ausfallrisiko. Die Banken müssen lernen, in wachstumsschwachen Phasen ihre Kosten weniger an die Kreditnehmer (die gebraucht werden) weiterzugeben, sondern stattdessen mehr an diejenigen, die den Nutzen der Liquidität in Anspruch nehmen. Das senkt die Zinsaufwendungen der Banken und fördert die Vergabe günstiger Kredite.
Zu Ihrer Forderung »Alte Denkmuster gilt es zu vergessen« gehört aber auch zwingend davon abzukommen, dass eine Ökonomie nur funktionieren kann, wenn man permanentes Wirtschaftswachstum erzeugt. Wirtschaftswachstum um null wird möglich, wenn die Erträge aus Kapital und Boden ebenfalls gegen null gehen. Sicherlich kann man vom Handelsblatt nicht erwarten, dass es diese Überlebensstrategie bejubelt. Von einem Wirtschaftsmagazin kann man jedoch erwarten, dass es die Zusammenhänge richtig darstellt und die Möglichkeiten einer Geldreform und einer Bodenreform nach Gesell objektiv zur Diskussion stellt.
Die Nullzins-Gesellschaft sichert den Sparern einen dauerhaften Werterhalt ihrer Ersparnisse und Rentenansprüche. Sie ermöglicht den Arbeitenden den vollen Arbeitsertrag und sie bietet der Menschheit die Perspektive eines ökologisch nachhaltigen Umgangs mit den Ressourcen des Bodens. Hier bietet sich Ihnen viel Stoff für einen weiteren »Überlebensratgeber«.
Für Ihre diesbezüglichen ersten Schritte bedankt sich im Namen der INWO
Ihr Klaus Willemsen
Verwendete Quelle:
Handelsblatt 4./5./6. Dezember 2015, Nr.235, S.52-55