US-Ökonom Kenneth Rogoff: Plädoyer für Minuszinsen

Im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL darf der US-Ökonom Kenneth Rogoff erläutern, dass ein Minuszins-Niveau der Normalfall sein wird und dass die Märkte bereits davon ausgehen, »dass die Zinsen auf ewig niedrig bleiben«. Sind Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise auf Dauer vermeidbar?

»In einer Welt der niedrigen Inflationsraten und Realzinsen müssten die Zentralbanken aber einen Weg finden, ihren Leitzins noch weiter in den negativen Bereich zu senken«, mahnt der US-Ökonom Kenneth Rogoff im SPIEGEL. Und weiter heißt es dort: »Es ist die einzige zukunftsträchtige Methode, um die Geldpolitik in diesen Zeiten wirksam zu halten.«

Diese simple Erkenntnis ist aus Sicht der Mainstream-Ökonomie pure Ketzerei, verneint sie doch das vorherrschende Dogma, der Geldzins stehe über den Marktgesetzen. Und mehr noch, in ihrer Konsequenz stellt sie die Macht des Finanzkapitals infrage, sich permanent, auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung, zu vermehren. Für das Finanzkapital, das sich über den Zins permanent vermehrt, und einen immer größeren Zugriff auf die Arbeitsverträge realisiert, ist die Ökonomie negativer Zinsen eine Kampfansage. In ihrer Größenordnung vergleichbar mit den von Marx, Lenin oder Mao ausgelösten Revolutionen.

Rogoff darf seine Thesen im Spiegel kommunizieren, weil er keineswegs zur Revolution gegen den Kapitalismus aufruft. Er beschreibt lediglich die Realität an den Finanzmärkten, die SPIEGEL-Autor Michael Sauga als »Zinsabsturz« wahrnimmt. Die Gründe für die niedrigen Zinsen, so der Professor, kennen wir nicht genau. »Der Beschluss der EZB jedenfalls, ihren Leitzins zu senken, ist eine Folge, nicht die Ursache der niedrigen Realzinsen.« Tatsache ist, dass die Geldvermögen weltweit völlig überproportional angewachsen sind. Das Verhältnis von Finanz- und Sachkapital ist schon seit langem vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Für den Anteil des Zinses, der als Knappheitspreis benannt wird, musste dies irgendwann Konsequenzen haben.

Ökonomisch lässt sich der positive Zinssatz nur durch Knappheit gegenüber der Investitionsnachfrage rechtfertigen. Das absolute Überangebot an Finanzkapital muss in einem funktionierenden Markt zwingend dazu führen, dass der Gewinn, sprich der Zinsertrag, negativ wird. Historisch haben solche Entwicklungen immer wieder zu einem Geld- bzw. Investitionstreik geführt und ganze Volkswirtschaften ruiniert. Es kommt heute daher darauf an, die scheinbar erreichte Untergrenze des Zinsniveaus durch geeignete Maßnahmen zu durchbrechen. Nach Überzeugung des US-Ökonomen »müssen die Zentralbanken einen Weg finden, ihren Leitzins noch weiter in den negativen Bereich zu senken«.

Um eine weltweite Wirtschaftskrise mit Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit und allen aus der Geschichte bekannten Phänomenen zu vermeiden sind »Minuszinsen« unvermeidlich. Rogoff dazu: »Jeder weiß, dass die Zentralbanken wirksame Instrumente benötigen, wenn es das nächste Mal zu einer ernsten Rezession oder einer systemischen Finanzkrise kommt«. Er erklärt aber ferner, dass es sich bei einer solchen Entwicklung nicht um eine Anomalie handelt. Laut einer aktuellen IWF-Studie waren »die realen Zinssätze der fortgeschrittenen Industrieländer in der Hälfte der vergangenen 200 Jahre negativ«. Es geht auch darum, die Inflation, als Korrektiv der Geldmengen-Überentwicklung, mit ihren vernichtenden Nebenwirkungen, zu vermeiden.

Die englische Version des Rogoff-Interviews von Michael Sauger steht im Internet kostenlos zur Verfügung. Lesen Sie auch: »Effektivere Negativzinsen werden dringend benötigt«, »Negativzinsen verstehen« und »Stabile Währung durch Haltegebühr auf Geld«.

Klaus Willemsen, 27.01.2020

Verwendete Quellen:

www.spiegel.de/wirtschaft/service/kenneth-rogoff-rechnet-mit-staerkerem-minuszins-a-b5cf877f-c5fc-437b-a8f4-714dee554b8a

www.spiegel.de/international/interview-with-kenneth-rogoff-on-european-central-bank-a-c3e15f23-bb4e-4737-911c-d3737b5607a1

www.inwo.de/medienkommentare/effektivere-negativzinsen-werden-dringend-benoetigt/

www.inwo.de/medienkommentare/negativzinsen-verstehen/

www.geldreform.eu/stabile-waehrung-durch-haltegebuehr-auf-geld/