Werner Mussler, Wirtschaftskorrespondent der FAZ in Brüssel, schreibt: »Neun vor allem südliche Staaten und Teile der EU-Kommission fordern einen aus gemeinsamen Anleihen (Eurobonds) finanzierten ›Solidaritätsfonds‹, den Deutschland und andere nördliche Staaten ablehnen.« Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie müssten die EU-Finanzminister jetzt den Bürgern zeigen, »dass Europa sie schützt«. Wie genau die Finanzminister ihre Bevölkerung vor einem Virus schützen wollen, schreibt Mussler nicht. Etwas kryptisch verweist er auf Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der hoffe »auf ein ›ganz klares Zeichen der Solidarität, die jetzt in Europa notwendig ist‹.«
Geringere Zinslasten für überschuldete Staaten
Faktisch geht es bei der Eurobonds-Debatte im Kern darum, die Zinssätze und damit die Zinslasten überschuldeter Staaten ein wenig zu senken. Der Preis dafür soll jedoch nicht zulasten des Finanzkapitals gehen, sondern von den Steuerzahlern aufgebracht werden, deren Politiker sparsamer hausgehaltet haben. Ein Umstand, der vielen Wählern unter Zuhilfenahme der ganz großen Moralkeule vermittelt werden muss. Logischer, 100 % marktwirtschaftlich und in einer demokratischen Gesellschaft durchaus vermittelbar wäre es, den Preis des Geldes weiter deutlich in den negativen Bereich zu senken. Auf diesem Weg würde das internationale Finanzkapital die Solidaritätskosten tragen. Jenes Kapital, dass sich seit 70 Jahren ungebremst exponentiell vermehrt hat und dessen weltweites Überangebot in jedem freien Markt längst zu einer negativen Rendite geführt hätte.
Die EU-Finanzminister haben es in der Hand. Sie können sofort geeignete Maßnahmen beschließen, die es der Europäischen Zentralbank (EZB) ermöglichen, die Leitzinsen weiter zu senken und die Geldhorte abzuschmelzen. Das dosierte Abschmelzen der liquiden Geldbestände würde sofort diverse positive Effekte haben:
- das Angebot von mittelfristigen und langfristigen Krediten würde steigen,
- alle öffentlichen Kassen würden von sinkenden Kreditzinsen profitieren,
- alle Unternehmen könnten bei Bedarf von niedrigeren Kreditkosten profitieren,
- auch Privatpersonen und -haushalte würden durch negativ verzinste Kredite entlastet,
- die Zinslasten aller Schuldner würden zurückgehen und ein Entschulden erleichtern,
- die Summe der Geldvermögen und damit der Gesamtverschuldung würde nicht weiter automatisch ansteigen.
Unter der Überschrift: »Negativzinsen - Wie Geldpolitik mit Minuszinsen funktioniert« konnte man zu den Ursachen der vermeintlichen Zinsuntergrenze bereits am 12.09.2019 bei t-online mit Verweis auf Reuters Folgendes lesen: »Es gibt darüber hinaus eine Untergrenze, ab der eine weitere Zinssenkung ökonomisch keinen Sinn mehr macht. Denn ab einem bestimmten Punkt könnten Banken mit Blick auf die Kosten dazu übergehen, überschüssige Gelder in eigenen Tresoren zu halten. Damit würden sie die Geldpolitik unterlaufen.« Was nach Ansicht des Autors »ökonomisch« scheinbar keinen Sinn macht, ist letztendlich nur die Macht des Finanzkapitals, die Regeln des Marktes von Angebot und Nachfrage für den Geldmarktzins auszuschalten. Mit einer Gebühr auf gehortetes Bargeld wäre der (in der Fachsprache) »Zero Lower Bound«-Effekt leicht zu neutralisieren. Mit derartigen »Durchhaltekosten« für Geld würden Negativzinsen ökologisch, sozial und ökonomisch sinnvoll.
Und ein weiteres Argument spricht für die weitere Senkung der Leitzinsen. Über die Konferenz der Finanzminister stellt Werner Mussler abschließend fest: »Eines haben alle diskutierten Instrumente gemeinsam: Keines wäre sofort einsatzfähig. Bis Geld aus den Finanztöpfen fließen kann, wird es unterschiedlich lange dauern. Im Falle von Eurobonds wären es Jahre.« Die Senkung der Leitzinsen dagegen würde unmittelbar wirken. Bei der Einführung von Durchhaltekosten auf gehortetes Bargeld würde sich zunächst schon die bloße Ankündigung positiv auswirken. Das Horten von Bargeld in relevanten Größenordnungen ist eine hochspekulative Angelegenheit. Die Ankündigung und die dosierte Einführung von Geldgebühren würden von den Finanzmärkten sofort registriert und entsprechende Verhaltensänderungen verlangen.
Gefährden Geldgebühren die Bankbilanzen?
In dem Beitrag »Wie Geldpolitik mit Minuszinsen funktioniert« heißt es bei T-Online: »Indem negative Sätze dazu beitragen, dass die Zinsen am Markt niedrig bleiben, sorgen sie allerdings auch dafür, dass Finanzinstitute im Kreditgeschäft tendenziell weniger Erträge erwirtschaften. Falls die Gewinne der Geldhäuser zu stark leiden, könnte dies ihre Bereitschaft zur Kreditvergabe bremsen.« Dies jedoch ist bestenfalls ein hartnäckiges Missverständnis. Das Kreditgeschäft der Banken basiert auf der Differenz zwischen Einlagenzins und Kreditzins. Das Geschäftsmodell einiger Banken leidet darunter, dass diese Differenz seit Jahren praktisch nicht existiert. Die Geschäftsbanken sollen langfristige Kredite vergeben, während die Einlagen praktisch komplett aus täglich fälligen Guthaben bestehen. Aus Mangel an langfristigen Einlagen wickeln sie ihr Kreditgeschäft über die Ausweitung der Geldmenge durch die Zentralbank ab. Ein Umstand, der für die Stabilität des Euros alles andere als vorteilhaft ist. Mit der Anrechnung der Minuszinsen auf die Girokonto-Bestände und eine Umschichtung zugunsten langfristiger Spareinlagen würden sich ihre Bilanzen und die Stabilität ihres Geschäftsmodells deutlich verbessern.
Lesen Sie hierzu auch: »Negativzinsen ermöglichen eine Wirtschaft ohne Wachstum«, »Deutsche-Bank-Stratege Dominic Konstam für Weitergabe effektiver Negativzinsen oder Vermögenssteuern?« und »Stabile Währung durch Haltegebühr auf Geld«.
Klaus Willemsen, 08.04.2020
Verwendete Quellen:
www.faz.net/aktuell/wirtschaft/corona-krise-eu-finanzhilfen-fuers-schaufenster-16716015.html
www.inwo.de/ziel-erreicht-und-grund-zum-jubeln/
www.geldreform.eu/stabile-waehrung-durch-haltegebuehr-auf-geld/