Waters benennt Kriegstreiber und Schauplätze einer das Leben verachtenden Politik. Im Mittelpunkt seiner Kritik steht der seit Jahrzehnten vorherrschende Machtanspruch des US-amerikanischen Imperialismus. In der Tradition zahlloser Künstler und Intellektueller zieht er eine stringente Linie von der Ausbeutung und Unterdrückung Lateinamerikas über die Destabilisierungskriege in der arabischen Welt zu den Kriegen der Gegenwart. Sein Lebenswerk klagt die Verbrechen und den faschistoiden Machtanspruch einer kapitalistischen Elite an. Dabei steht er an der Seite unzähliger aufrichtiger Menschen, kämpferischer Aktivistinnen und Aktivisten und vieler ehrlicher Politiker*innen. Ganze Bibliotheken und Mediatheken sind mit Werken gefüllt, die die Verbrechen an der Menschlichkeit und die ökonomischen Hintergründe einer menschenverachtenden und die Natur rücksichtslos zerstörenden Politik thematisieren.
All dies spielt in der Berichterstattung über seine aktuelle Tournee jedoch keine Rolle. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk macht sich regelrecht zum Büttel einer oberflächlichen Verleumdungskampagne. So heißt es bei NDR Kultur: »Roger Waters ist ein Mann mit komplizierter Weltsicht. Zu differenzierter Kritik scheint er nicht bereit oder unwillens.« Man kann allerdings guten Gewissens argumentieren, das Gegenteil sei der Fall. Roger Waters´ antikapitalistische Analyse ist historisch und stringent. Auch ist die Kritik des NDR, vor allem aber auf WDR5 am 9.Mai, undifferenziert bis demagogisch.
Zum Weltbild des Musikers schreibt die Berliner Zeitung unter anderem: »Ein streitbarer Geist und politischer Mensch war Roger Waters immer. Schon im Meisterwerk „The Dark Side of the Moon“, das im März dieses Jahres 50 Jahre alt wird und für das er alle Texte schrieb, ging es neben dem Drama der menschlichen Existenz und ihrer Endlichkeit („Time“) um die Ursachen für militärische Konflikte, die Gier nach Macht und Geld („Money“), um den Wahnsinn, dem Menschen aus unterschiedlichen Gründen verfallen können.«
Kritik oder Demagogie
Die »Ursachen für militärische Konflikte, die Gier nach Macht und Geld« sind im deutschen Mainstream derzeit allerdings nicht gefragt. Und eine »differenzierte Kritik« an seinen diesbezüglichen bildgewaltigen Aussagen, findet praktisch nicht statt. Stattdessen bemüht man sich Waters zu diskreditieren und seine Reputation zu beschädigen. Leider bildet der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier keine Ausnahme.
Waters sei »antisemitisch«, lauten einige Schlagzeilen. Ein Vorwurf, dem zu widersprechen sich in Deutschland kaum jemand traut. Ein Vorwurf, der jedoch im Widerspruch zur antirassistischen DNA der Person steht und praktisch nicht belegt wird. Das Waters diesen Vorwurf vehement von sich weist, wird auf WDR5 zum Beleg der Wahrhaftigkeit umgedreht. Denn auch einer der schlimmsten antisemitischen Verbrecher des vorigen Jahrhunderts, Adolf Eichmann, habe diesen Vorwurf ja ebenso von sich gewiesen. Mit dieser Verknüpfung zweier Personen wird Rhetorik zur Propaganda. Als Quelle reicht dabei aus, dass die Schriftstellerin Polly Samson diese Einschätzung mal twitterte. Mit Polly Samson und ihrem Mann David Gilmore ist Waters seit Jahrzehnten in herzlichen Streitigkeiten verbunden.
Die Ursachen militärischer Konflikte
Auf ähnliche Weise wird die historische Rolle der USA bezüglich der aktuellen Kriegsursachen verwandelt. Die imperialistische Vorgeschichte der Kriege, wie sie Waters beschreibt, wird komplett ausgeblendet und seine Aussage ins Gegenteil verdreht. In einem offenen Brief an Putin nannte er den »überfallartigen Kriegsbeginn den „Akt eines Gangsters“«, heißt es in der Berliner Zeitung. Dennoch entsteht in der WDR Berichterstattung am 9. Mai der Eindruck, Waters würde den Krieg Putins rechtfertigen und keine andere Meinung tolerieren.
Vom Konzert in Hamburg weiß der Korrespondenz berichten, Waters habe zu Beginn alle, die nicht seiner Meinung seien, aufgefordert, das Konzert zu verlassen und »an die Bar zu gehen«. Dass sich diese »Bar« zum Ende des Konzerts als Einladung zum Dialog entpuppt, fällt bei der Berichterstattung leider unter den Tisch. Künstlerische Ironie passt nicht ins dargestellte Feindbild.
Wie viel Ehrlichkeit kann sich öffentlich-rechtlicher Rundfunk noch erlauben?
Damit ich nicht falsch verstanden werde. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und im besonderen den WDR 5, sehe ich als eine Säule der Meinungsfreiheit und unserer Demokratie. Sollte dieser eines Tages der Kapitalisierung öffentlichen Eigentums zum Opfer fallen, wäre dies ein weiterer Sieg für die von Roger Waters leidenschaftlich bekämpften "Kriegstreiber und Profitgeier". Gerade deswegen erschüttert mich die, in der Berichterstattung am 9. Mai, so unreflektierte Verwendung stereotyper Feindbilder und Klischees.
Man kann Waters vorhalten, dass sein Weltbild finster ist und seine Botschaft nicht gerade viel Hoffnung transportiert. Er ist aber weder antisemitisch noch rechtfertigt er irgendwelche Kriegstreiber. Als traditioneller Antikapitalist hat er in unserer Gesellschaft heute keine kräftige Lobbygruppe mehr hinter sich. Es ist leichter, ihn zu denunzieren als sein Anliegen zu vermitteln. Das großartige Konzert in Köln hat aber gezeigt, dass der 79-jährige Roger Waters noch immer von Liebe zu den Menschen und in der Hoffnung auf ein Miteinander aller Menschen getrieben ist. Waters steht für den Kampf gegen die bösen Triebkräfte von Gier, Gewalt und Krieg und für das Leben. Unsere Welt braucht Millionen, die wie er mit scharfem Verstand analysieren.
Genießen Sie sein Konzert, wenn Sie die Möglichkeit dazu haben.
Lesen Sie hierzu auch: »Gefährliche Almosen-Politik«, »Endspiel des Kapitalismus« und »Demokratie und Meinungsherrschaft«.
Klaus Willemsen, 10.05.2023
Verwendete Quellen:www.ndr.de/kultur/musik/pop/Antisemitische-Aussagen-Roger-Waters-tritt-in-Hamburg-auf,waters120.html
www.inwo.de/medienkommentare/gefaehrliche-almosen-politik.html
www.inwo.de/medienkommentare/endspiel-des-kapitalismus.html
www.inwo.de/medienkommentare/demokratie-und-meinungsherrschaft.html