Baerbock, Scholz und Merkel: Rettet die Geldrendite!

Während sich Politiker aller Lager darin gefallen, höhere Staatsverschuldung und damit sichere Prämien fürs Kapital zu propagieren, zeigt der Harvard-Professor für Volkswirtschaftslehre Kenneth Rogoff, dass dieser Weg durchaus nicht alternativlos ist. Der ehemaliger IWF-Chefvolkswirt fordert stark negative Zinsen als Weg aus der Krise.

In den Diskussionszirkeln sozialer, ökologischer und liberaler Währungs- und Wirtschaftspolitiker wird dieser revolutionäre Ansatz jedoch komplett verschlafen. In Übereinstimmung mit dem neoliberalen Mainstream argumentieren selbst Vordenker grüner Ökonomie wie Sven Giegold, dass es zwar »kein Recht auf Zinsen« gebe, der Negativzins jedoch »ganz besonders Leute belastet, die nicht jetzt konsumiert haben, sondern ihren Konsum in die Zukunft verschoben haben«. Dieses Narrativ ist jedoch falsch. Wer jahrzehntelang von zu hohen Guthabenzinsen profitiert und sein Vermögen akkumulieren lässt, spart sich nichts vom Munde ab. Und Kleinsparer, die Arbeitserträge ansparen, werden durch die Negativzinspolitik entlastet, keinenfalls aber belastet.

Im Gegensatz dazu begründet der eher konservative Rogoff, welche ungeheuren Perspektiven sich ergeben, wenn es gelingt, die in Krisenzeiten unhaltbaren Renditeansprüche des Finanzkapitals endlich konsequent zu durchbrechen. In dem renommierten Blog »Project Syndicate« fordert er das Undenkbare: die starke Negativverzinsung der billionenschweren Finanzkapitalien und damit nichts weniger als den Anfang vom Ende des Kapitalismus – der grenzenlosen Akkumulation von Kapital durch Zins und Zinseszins.

Rogoff: »Nehmen wir an, die Notenbanken würden sich gegen die Flucht in Staatsanleihen stemmen, indem sie weitergehende Schritte einleiten und die kurzfristigen Leitzinsen auf -3% oder niedriger senken. Zunächst einmal würden Negativzinsen, genau wie Zinssenkungen in der guten alten Zeit positiver Zinssätze, viele Firmen, Staaten und Kommunen aus der Zahlungsunfähigkeit befreien. Bei korrekter Umsetzung würden sie, wie jüngste empirische Belege zunehmend belegen, ähnlich wie die normale Geldpolitik funktionieren und Gesamtnachfrage und Beschäftigung ankurbeln. Wäre es also – bevor man chirurgische Maßnahmen zur Umstrukturierung sämtlicher Schulden durchführt – nicht besser, eine Dosis normaler geldpolitischer Impulse auszuprobieren?«

Blind dafür, diese Idee aufzugreifen und die EZB bei ähnlichen Überlegungen argumentativ zu unterstützen, glänzen Deutschlands Intellektuelle und die scheinbar progressive Politikelite durch lautstarkes Schweigen. Anstatt die herausgegebene Geldmenge unter Angebotsdruck zu setzen, überbieten sie sich mit immer höheren Forderungen nach neuen staatlichen Schulden. Wie schon die Generation ihrer Väter, wollen auch Baerbock und Habeck wie Macron, Merkel und Scholz alle Lasten auf die Schultern der heute und in Zukunft für Zins und Tilgung arbeitenden Generationen verschieben. Es geht darum, sich nicht mit dem übermächtigen und im absoluten Übermaß vorhandenen Finanzkapital anzulegen. Die durch die Realität längst überholte Hoffnung, über eine Rückkehr des Wachstums diese finanziellen Lasten tragfähig zu machen, bleibt auch jetzt ihre Handlungsmaxime. Bundesfinanzminister Olaf Scholz: »Dieser neue 500-Milliarden-Fonds wird uns gemeinsam in die Lage versetzen, dass Europa gemeinsam aus der Krise wächst und auch wieder stärker wird«.

Rogoff dagegen zeigt eine überzeugende Alternative auf, die ökologisch, sozial und marktkonform ist. Sie verlangt von den verantwortlichen Politikern lediglich flankierende Entscheidungen für eine moderne Zentralbankpolitik: »Eine Anzahl wichtiger Schritte sind erforderlich, um stark negative Zinsen praktikabel und wirksam zu machen. Der Wichtigste davon, den bisher keine Notenbank (einschließlich der EZB) ergriffen hat, ist, zu verhindern, dass Finanzunternehmen, Rentenkassen und Versicherungsgesellschaften in großem Umfang Bargeld horten. Dies sollte durch verschiedene Kombinationen aus Regulierung, zeitlich variablen Gebühren für großumfängliche Wiedereinlagen von Geld bei der Notenbank und der allmählichen Einziehung von Banknoten mit hohem Nennwert gelingen.«

In Grünen und Linken Foren dagegen wird die erpresserische Macht des Finanzkapitals mehrheitlich geleugnet: »Es gibt keine Geldhortung. Wie kommst du eigentlich auf den Nonsens?« liest man dort beispielsweise. Und Europapolitiker Giegold argumentiert, die Geldvermögensbesitzer hätten auf Konsum verzichtet – »und warum die mehr fürs Gemeinwohl zahlen sollen als andere, das ist nicht logisch«. Man könnte auch argumentieren, wer eine Bank überfällt, riskiert eine lange Freiheitsstrafe und hat so einen Anspruch auf eine Belohnung! Für die Zinsbelohnung haben nicht die Vermögenden, sondern andere verzichtet: 90 Prozent der Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten ein Vielfaches ihrer Zinseinnahmen an Zinsausgaben gezahlt, weil die überhöhten Zinsen in allen Preisen enthalten waren. Das wird immer ausgeblendet.

Warum sich grüne und linke Ideologen weigern, über ein Schrumpfen der Kapitalien auch nur nachzudenken, ist ein Wunder der Medienmacht. Es bleibt zu hoffen, dass Ökonomen und Pioniere wie Kenneth Rogoff lange genug am Leben bleiben und auch weiterhin den Mut aufbringen, ihre Überzeugung mit Erfolg in die Welt zu tragen.

Kenneth Rogoff ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Public Policy an der Harvard University und Träger des Deutsche Bank Prize in Financial Economics 2011, er war von 2001 bis 2003 Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds. Er ist Koautor von This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly und Autor von Der Fluch des Geldes.

Lesen Sie hierzu auch: »Die Wirtschaft braucht jetzt Negativzinsen«, »Ein Hoch der Negativzinspolitik in der FAZ« und »Stabile Währung durch Haltegebühr auf Geld«.

Klaus Willemsen, 26.05.2020


Verwendete Quellen:

www.project-syndicate.org/commentary/advanced-economies-need-deeply-negative-interest-rates-by-kenneth-rogoff-2020-05/german

Sven Giegold beim 1. Deutsch-Italienischen digitaler Europa-Ratschlag (Deutsche Version), online unter:
https://www.youtube.com/watch?v=Rx6COD2qyDM&feature=youtu.be

www.gruene.de/artikel/ein-neues-sicherheitsversprechen

www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/ecofin-zu-wiederaufbaufonds-1754010

www.inwo.de/medienkommentare/die-wirtschaft-braucht-jetzt-negativzinsen/

www.inwo.de/medienkommentare/ein-hoch-der-negativzinspolitik-in-der-faz/

www.geldreform.eu/stabile-waehrung-durch-haltegebuehr-auf-geld/