»Null Zinsen und die Zukunftsangst der Deutschen«

Dauerhaft niedrige Zinsen und eine Inflationsrate nahe null sind ein Segen für die große Masse der deutschen Bevölkerung. Dennoch bereitet die ungewohnte Situation vielen Menschen Sorgen. Populisten und Lobbyisten schüren Ängste und erzeugen den Eindruck, das niedrige Zinsniveau ginge zu Lasten des ärmeren Teils der Bevölkerung. Mit Verweis auf Untersuchungen der Bundesbank widerspricht die Süddeutsche Zeitung in zwei Beiträgen dieser Meinung, allerdings nur halbherzig.

»Das gesamte Altersvorsorge-System gerät gerade massiv unter Druck«, behauptet beispielsweise das ARD-Magazin Report München. Als Beweis werden zwei Rechenbeispiele von Lebensversicherungen herangezogen und mit Aussagen von Fachleuten unterstützt. Guido Lenné, Anwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht: »…und tatsächlich der einzige, der hier bluten muss, ist der kleine Mann«, oder Prof. Marc Oliver Rieger von der Universität Trier: »Insofern ist das natürlich ein recht perfides Mittel, um die Ersparnisse abzuschmelzen«.  

Dasselbe Klischee bedient die Süddeutsche Zeitung: »Niedrige Zinsen machen die Reichen reicher und die Armen ärmer. Das ist kein Skandal, sondern ein notwendiges Übel«, lautet die Bildunterschrift im Kommentar von Catherine Hoffmann. »Sinken nämlich die Zinsen, dann steigen die Aktienkurse und Immobilien werden teurer. Das freut vor allem Besserverdienende. Arme bekommen dagegen weniger Zinsen und müssen obendrein mehr Miete zahlen«.  

Frau Hoffmann formuliert dies als These der Populisten, die jedoch verquer gedacht sei. Anstatt jedoch die Auswirkungen genauer zu erklären, argumentiert sie lediglich, dass es nicht die Aufgabe der Notenbank sei, für Ausgleich und Gerechtigkeit zu sorgen.  

Warum sie darauf verzichtet, ihre Einschätzung zu begründen, bleibt rätselhaft. Kompliziert oder schwer wäre es jedenfalls nicht. Bereits am Vortag berichtet die SZ, gestützt auf die Einschätzung der Bundesbank: »Die lockere Geldpolitik der Notenbanken reduziere die Arbeitslosigkeit und erhöhe somit die Einkommen vieler Menschen. Das habe die Ungleichheit "eher verringert"«. Sie hätte ergänzen können, dass auch der Staat viele Milliarden Euro an Zinszahlungen einspart und für zusätzliche Sozialausgaben einsetzt.  

Unterschlagen wird in der Berichterstattung, dass für gewöhnliche Sparer die Differenz zwischen Zinsertrag und Inflation seit jeher sehr gering ist und nur in Zeiten besonders hoher Wachstumsraten deutlich spürbar war. Wachstumsraten, die es in Europa nicht mehr geben kann und aus ökologischen Gründen auch nicht mehr geben darf. Unerwähnt bleibt in der Berichterstattung immer auch, dass die Bürger in Deutschland über Jahrzehnte hinweg Zinsen im dreistelligen Milliardenbereich aufbringen mussten, die vor allem den Reichen und Superreichen zugute kamen. Milliarden, die bisher den Bürgern fehlten, um sie für die Alterssicherung zurückzulegen.  

Richtig ist: Die Altersversorgung wird erst durch das Null-Zins-Niveau sicher. Entscheidend ist der Zusammenhang, dass niedrige Zinsen und ausbleibende Inflation die umlagenfinanzierte Rente für Millionen von Arbeitnehmern wieder attraktiv und sicher machen. Das niedrige Zinsniveau ermöglicht mehr Beschäftigung, erzeugt Spielräume für höhere Gehälter und ermöglicht dem Bund, seinen Zuschuss deutlich aufzustocken. Ein Teil der geringer gewordenen Zinslasten bleibt heute beim Bürger und kann für die Alterssicherung zurückgelegt werden.  

Warum profitieren die Reichen vom Niedrig-Zins-Niveau? Einen Hinweis darauf, warum Wohlhabende und Besitzende von der derzeitigen Situation profitieren, obwohl ihnen Hunderte von Milliarden Euro an Zinseinnahmen entgehen, gibt ein Bericht der Süddeutschen Zeitung mit Verweis auf die Bundesbank: »Der Immobilienbesitz in Deutschland ist bei den vermögenderen Haushalten konzentriert. "Der Anstieg der Immobilienpreise kommt also den Haushalten im oberen Bereich der Vermögensverteilung zugute", so die Bundesbank.« Anhaltend niedrige Zinsen führen zur Umschichtung von Geldvermögen in Immobilien. Dies führt vor allem in den Metropolen zu steigenden Bodenpreisen, steigenden Pachteinnahmen und höheren Mieten.  

Dieser Wert- und Ertragszuwachs der Immobilien entsteht nicht durch Leistungen der Besitzer. Ursächlich ist tatsächlich das anhaltend niedrige Zinsniveau und die Tatsache, dass der Boden als knappe Ressource ein lukratives Spekulationsgut ist. Abhilfe schafft die Abschöpfung des Wertzuwachses durch eine angemessene Grundsteuer mit einer Pro-Kopf-Rückverteilung an die dort lebenden Menschen. Eine Anhebung der Zinsen wäre hier der falsche, da unsachgemäße und völlig kontraproduktive, Hebel.  

Lesen Sie dazu bitte auch »Stabile Währung durch Haltegebühr auf Geld«, »Aus Grundsteuer muss reine Bodensteuer werden« und »Die fünf großen Irrtümer in der Rentendebatte«.      

Klaus Willemsen, 21.09.2016 
überarbeitet 8/23

Verwendete Quellen:

www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/videos-und-manuskripte/nullzinspolitik-102.html  
(Der von Ihnen gewünschte Inhalt ist nicht oder nicht mehr abrufbar.)

www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ezb-die-notenbank-kann-nicht-alle-gluecklich-machen-1.3169315  

www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ungleichheit-bundesbank-verteidigt-draghi-1.3168600  

www.geldreform.eu/stabile-waehrung-durch-haltegebuehr-auf-geld/

www.inwo.de/medienkommentare/aus-grundsteuer-muss-reine-bodensteuer-werden/

www.inwo.de/medienkommentare/die-fuenf-grossen-irrtuemer-in-der-rentendebatte/