Risiken und Chancen von Trumps Handelspolitik

Alle deutschen Leitmedien von Bild über Spiegel, SZ, Öffentlich Rechtliche bis zur FAZ sind sich mal wieder erstaunlich einig: Die Trumpsche Außenhandelspolitik ist eine Katastrophe und wird Wohlstand in und außerhalb der USA vernichten. Der freie Außenhandel fördere immer den Wohlstand und Trump ist dabei, diesen zu bedrohen. Doch verhält es sich wirklich so trivial?

Bedeutung des Außenhandels

Wir sprechen bei den USA, China oder der EU nicht über kleine Länder, die in der Tat zwingend auf Außenhandel angewiesen wären, um ein sinnvolles Maß an Spezialisierung und somit an Effizienz als Basis für einen gesellschaftlichen Wohlstand zu erreichen. Die Diskussion dreht sich um den Handel zwischen den drei größten Wirtschaftsräumen der Erde. In den USA leben 330 Millionen Einwohner mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 19,5 Billionen Dollar, in der EU leben 510 Millionen Menschen mit einem BIP von 20,8 Billionen Dollar und in China wohnen fast 1,4 Milliarden Menschen mit einer Wirtschaftsleistung von 23,2 Billionen Dollar (BIP-Angaben in Kaufkraftparitäten).

Auffällig ist, dass von diesen drei Wirtschaftsreichen die USA das größte BIP pro Kopf, aber den geringsten Anteil des Außenhandels am BIP aufweisen (Importe 12,3%, Exporte 8,0%; EU: Importe: 31,1% Exporte 33,0%; China: Importe 13,3% und Exporte 17,5%). Die Annahme, dass ein höherer Außenhandel (für solche großen Wirtschaftsräume) an sich wohlstandssteigernd ist, kann allein mit Blick auf die niedrigen Außenhandelsquoten der USA hinterfragt werden.

Allerdings weisen die USA seit langem ein strukturelles Handelsbilanzdefizit aus: Die Warenimporte liegen mehr als 50% über den Warenexporten. Und dieses Handelsbilanzdefizit und das daraus resultierende Leistungsbilanzdefizit will Trump nun mit den Importzöllen beenden.

Unausgeglichene Handels- und Zahlungsbilanzen

Das eigentliche Problem struktureller Leistungsbilanzdefizite besteht nun darin, dass ein Leistungsbilanzdefizit zwingend mit einer steigenden Auslandsverschuldung einhergeht. Denn die volkswirtschaftliche Saldenmechanik verlangt nicht nur, dass jedem Geldvermögen eine Verschuldung in gleicher Höhe gegenüberstehen muss. Sie gilt auch für sämtliche Stromgrößen und erzwingt, dass zu jedem Zahlungsstrom eine Gegenbuchung existieren muss und zwar zunächst immer als neu entstehende Forderung.

Auf volkswirtschaftlicher Ebene können diese dann bei Importüberschüssen durch Exporte oder andere in Gegenrichtung bezahlte Leistungen oder Einkommensströme ausgeglichen werden. Es kann sich auch um Schenkungen und andere Vermögensübertragungen handeln. Aber wenn alles dies nicht der Fall ist, bleiben diese gebuchten Forderungen als neue Schulden in den Bilanzen stehen.
Umgekehrt gilt das Gleiche: Die deutschen Exportüberschüsse können nur mit dem Geld gezahlt werden, das in Deutschland ansässige (meist juristische) Personen dem Ausland „leihen“ – sei es beispielsweise über den Ankauf von US-Hypothekenverbriefungen vor der Finanzkrise oder – innerhalb der EU – über den Kauf von Staatsanleihen anderer Euro-Staaten.

Doch die Saldenmechanik verlangt „nur“, dass jede Zahlung eine Gegenbuchung aufweist. Sie macht keine Aussagen über die jeweiligen Kausalitäten. So ist es theoretisch vorstellbar, dass die hohe Produktivität die deutschen Exporte treibt und die Finanzierung sich quasi von selbst findet, da unsere Banken das Ausland für unbegrenzt kreditwürdig halten.
Aber auch das Umgekehrte ist vorstellbar: Die Bewegungen an den Finanzmärkten erzwingen am Ende einen bestimmten Leistungsbilanzsaldo. Realwirtschaft oder Finanzmärkte ursächlich? Wie ist vor diesem Hintergrund das Leistungsbilanzdefizit der USA zu beurteilen? Resultiert es aus der mangelnden Effizienz und fehlenden Konkurrenzfähigkeit der US-Wirtschaft oder spielt diese am Ende praktisch keine Rolle und das Leistungsbilanzdefizit wird fast vollständig durch die Finanzmärkte getrieben?

Hier gibt es nur eine sinnvolle Antwort: Das amerikanische Leistungsbilanzdefizit ist fast vollständig ein Resultat der Finanzmärkte. Dies resultiert aus der Stellung des Dollar als Weltleitwährung. Die Position der Weltleitwährung zeigt sich dabei nicht nur an den hohen Dollarbeständen fast aller großen Zentralbanken (vom Verkauf großer Teile der russischen Bestände einmal abgesehen), sondern auch darin, dass der internationale Handel und insbesondere der Rohstoffhandel nach wie vor weitgehend in Dollar fakturiert wird.
D.h. jede größere Firma auf der Welt, jeder größere Ex- oder Importeur muss Zahlungsverkehrskonten in Dollar halten, und je größer und komplexer der Welthandel wird, desto mehr Dollarkonten werden international benötigt. Die Nachfrage nach Dollar steigt mit dem Wachstum des Handels und jedem Guthaben in Dollar steht dabei zugleich eine Verschuldungsposition in Dollar gegenüber. Diese „muss“ zu einem Großteil von US-Ansässigen übernommen werden, da die Verschuldungsfähigkeit in Dollar außerhalb der USA begrenzt ist.

„Der Status des Dollar als Weltleitwährung ist daher für die USA nicht nur ein Segen, es ist zugleich ein Fluch.“

Das Leistungsbilanzdefizit der USA wird so saldenmechanisch erzwungen, die Folge ist ein völlig überbewerteter Dollar, der die USA ihrer Konkurrenzfähigkeit strukturell beraubt. Der Status des Dollar als Weltleitwährung ist daher für die USA nicht nur ein Segen, es ist zugleich ein Fluch – und dabei sind die immensen Kosten für die weltweiten Militärbasen, die die Vormachtstellung der USA und des Dollar sichern, noch gar nicht berücksichtigt.

Zölle als Lösung?

Was macht nun Trump? Er droht mit Zöllen. Doch er droht nicht mit Zöllen auf alle möglichen Produkte, sondern konzentriert sich auf Produkte, bei denen kein extrem hoher Grad an internationaler Arbeitsteilung benötigt wird, um eine gewisse Produktionseffizienz überhaupt erst realisieren zu können. D.h. Flugzeuge, Produktionsanlagen oder Spezialmaschinen sind ebenso nicht Teil der Trumpschen Zoll-Agenda wie auch jene chemischen Produkte oder spezielle Medizintechniken nicht, die für eine hohe Produktivität auf möglichst große Wirtschaftsräume angewiesen sind. Auch Rohstoffe sind wie selbstverständlich ausgenommen von den Zollandrohungen.
Betroffen sind hingegen Autos oder verarbeitete Metalle. Denn hier geht es fast ausschließlich um Marktanteile und Marktmacht. Die Produktivität wird hier durch den internationalen Handel nicht erkennbar erhöht. Lediglich die Anzahl der Firmen, die auf den einzelnen Märkten präsent sind, kann sinken. Doch es macht für den allgemeinen Wohlstand keinen Unterschied, ob in der EU oder in den USA in Zukunft ein paar Automarken oder -modelle weniger verfügbar sind. Auch der mildernde Einfluss des internationalen Handels auf die Bildung von Kartellen hält sich in diesen Segmenten stark in Grenzen. Der Garant für Wettbewerb sind hier eher funktionierende Aufsichts- und Kartellbehörden, Whistleblowerschutz und hohe drohende Strafzahlungen bei Preisabsprachen oder anderen Kartellverstößen, als ein grenzenloser freier Handel.

Wie will Trump aber nun die heimische Industrie mit Importzöllen schützen, wenn ein wesentlicher Treiber des Leistungsbilanzdefizits auf die Finanzmärkte und die Vormachtstellung des Dollar zurückzuführen ist? Sind Trump und seine von Goldman Sachs stammenden Berater etwa zu dumm, diesen Zusammenhang zu verstehen? Möglicherweise – doch wahrscheinlicher ist es, dass sie sehr genau wissen, was sie tun.

Wenn Trump zu einer Zeit, in der Russland anfängt seine Währungsreserven zu verkaufen und in der es weltweit ernsthafte Anstrengungen gibt, den Außenhandel (und sogar teilweise den Rohstoffhandel) stärker in lokalen Währungen abzuwickeln, nun auch noch Zollschranken glaubhaft androht, statt wie in der Vergangenheit mit hartem Durchgreifen die Vormachtstellung des Dollar zu sichern, dann kann dies zu einer irreversiblen Erosion des Dollars als Weltleitwährung führen. Es darf davon ausgegangen werden, dass genau dies das Ziel der Trump-Administration ist.
Die genaue Interessenslage von Trump und seinen Unterstützern bleibt zwar im Dunkeln, aber es gibt nicht wenige US-Konzerne und US-Oligarchen, die nicht von den exorbitanten Aufträgen an die US-Rüstungsindustrie profitieren, jedoch die damit verbundenen Risiken tragen müssen. Ihnen ist die hohe und unablässig steigende Verschuldung der USA gegenüber dem Ausland mehr als nur ein Dorn im Auge. Auch die Frustrationen über die damit im Zusammenhang stehende jährlich notwendige Anhebung der Obergrenze des US-Haushaltsdefizits nehmen seit Jahren zu – wobei Trump hier zunächst eine Steuerentlastung der US-Wirtschaft wichtiger ist als eine Eindämmung der Staatsausgaben.

Ob Trump und seine Unterstützer sich gegen andere US-Interessengruppen, die von dem jetzigen Dollarregime profitieren, am Ende durchsetzen können, ist unklar. Unklar ist, mit welchen Mitteln hier am Ende gekämpft wird. Und unklar ist, wie in absehbarer Zeit die exakte Stellung des Dollars in der Welt sein wird und ob die gezielte Schwächung ausreicht, um die US-Leistungsbilanz halbwegs geräuschlos wieder zu drehen, die US-Auslandsverschuldung wieder abzubauen, bzw. neue Vermögenspositionen im Ausland aufzubauen.
Doch eine uns von den Standardmedien aufgetischte Erzählung kann vermutlich getrost in das Reich der Märchen verwiesen werden: Dass Trump ein Trottel ist, der sich ständig nur blamiert, der völlig impulsgesteuert ist und der nicht weiß, was er tut.

Ausgleichendes Weltwährungssystem notwendig

Welche Formen der Machtkampf innerhalb der USA auch annehmen mag, die EU sollte jetzt nicht länger an einem zerstörerischen internationalen Außenwirtschafts- und Währungsregime festhalten, dem Ausbeutung und Krise ohnehin immanent sind.
Dabei muss dringend berücksichtigt werden, dass das strukturelle Leistungsbilanzdefizit der USA teilweise stabilisierend auf das internationale Währungssystem wirkt und es Entwicklungsländern wie Südkorea oder China erst ermöglichte, mittels gezielter Exportstrategien zur Ersten Welt aufzuschließen. Wenn nun die USA den Dollar als Weltleitwährung aufgeben, entfällt dieser Stabilitätsanker. Länder, die es dann in eine unterbewertete Position geschafft haben (die dann mit ständigen Aufwertungserwartungen einhergeht) und internationale Währungsspekulanten wären dann die alleinigen Taktgeber: Sie würden zusammen eine noch größere Spur der Verwüstung als das bisherige Weltwährungsregime hinterlassen.

„Es wäre jetzt eigentlich die erste Pflicht der EU oder auch der Bundesregierung, sich auf internationaler Ebene für ein gerechtes Weltwährungssystem, wie etwa John Maynard Keynes' Bancor-Plan oder Silvio Gesells Internationale Valuta Assoziation, einzusetzen.“

Daher wäre es jetzt eigentlich die erste Pflicht der EU oder auch der Bundesregierung, die Chance zu ergreifen und sich auf internationaler Ebene für ein gerechtes Weltwährungssystem, wie etwa John Maynard Keynes' Bancor-Plan oder <link www.sozialoekonomie-online.de/archiv/zfsoe-online-archiv-folge-172-183.html - external-link-new-window>Silvio Gesells Internationale Valuta Assoziation (IVA)</link>, einzusetzen – also für eine internationale Finanzarchitektur, die die Leistungsbilanzungleichgewichte zeitnah abbaut, Spekulation verhindert und so einem internationalen Geflecht aus wachsenden Schulden, Forderungen und damit verbundenen Abhängigkeiten effizient entgegenwirkt.

Nun können die EU und die Bundesregierung endlich einmal zeigen, wie ernst es ihnen mit den westlichen Werten – einschließlich einer effektiven Bekämpfung von Fluchtursachen – wirklich ist.

Axel Thorndorff